1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Staßfurt
  6. >
  7. Kein Ticket in die Psychiatrie

Brandattacken Kein Ticket in die Psychiatrie

Der für mehrere Brände in einem Staßfurter Wohngebiet verdächtigte Mann soll kürzlich vergeblich einen Hilferuf abgesetzt haben.

13.02.2020, 23:01

Staßfurt l „Es passiert irgendwie gar nichts“, sagt Birgit Fischer. In ihrem Wohngebiet in Staßfurt, wo es von Oktober bis Januar fünf Brandattacken auf Wohnhäuser gegeben hatte, suchen die verängstigten Nachbarn Hilfe bei den Behörden, kommen aber seit Wochen nicht voran.

Die Polizei muss neutral ermitteln. Für die Anwohner ist längst ein Nachbar als Täter ausgemacht. Der Verdächtigte soll vor kurzem versucht haben, sich selbst in eine psychiatrische Einrichtung einweisen zu lassen. An einem Donnerstagabend hatte er die Polizei gerufen, was das Revier im Salzlandkreis bestätigt. „Das war doch ein Zeichen, dass er Hilfe braucht. Aber die Polizei hat ihn nicht mitgenommen“, berichtet Birgit Fischer.

Unterdessen haben sich die Nachbarn beim Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamts informiert. „Dort hieß es, man kann sich auch nicht einfach so selbst einweisen“, ist Birgit Fischer verblüfft. „Also können wir als bedrohte Nachbarn keine Einweisung veranlassen, aber der Betroffene selbst auch nicht?“

Die Anwohner hatten Fremdgefährdung und Körperverletzung beim Gesundheitsamt angezeigt, da sie weitere Gefahren von ihrem Nachbarn befürchten. Nach den Bränden an Carport, Schuppen oder Tür in ihrem Viertel kommen sie nicht mehr zur Ruhe.

Die Mitarbeiter des Gesundheitsamts hatten parallel mehrfach versucht, mit dem Mann in Kontakt zu treten.

Im Namen der Polizei, die an dem Abend von dem verdächtigten Nachbarn gerufen wurde, erklärt Sprecher Marco Kopitz: Man spreche in solchen Fällen mit dem Betroffenen und empfehle ihm, den Rettungsdienst zu rufen. „Wir als Polizei veranlassen keine Einweisung“, so Kopitz. Als Gefahrenabwehrbehörde prüft die Polizei, ob eine Gefahr für die Person selbst oder andere besteht oder eine Straftat vorliegt.

Da beides nicht der Fall war, sah man keinen Anlass einzugreifen. „Wer in solchen Situationen Hilfe sucht, muss zum Arzt gehen oder ein Krankenhaus aufsuchen“, so Kopitz.

Gleichzeitig berichtet der Sprecher, dass die Polizei verschiedene Maßnahmen für das Wohngebiet eingeleitet hat.

Der Sozialpsychiatrische Dienst beim Gesundheitsamt des Salzlandkreises dagegen hat eine 24 Stunden-Bereitschaft und kann Personen in psychiatrische Einrichtungen einweisen. Gleichstellungsbeauftragte Astrid Müller vom Salzlandkreis bestätigt: „Einweisen kann man sich tatsächlich nicht so einfach.“ Eine Entscheidung darüber trifft nämlich ein Arzt beziehungsweise eine bestellte Amtsperson, also der Sozialpsychiatrische Dienst oder andere besonders geeignete und ausgebildete Bedienstete.

Astrid Müller erklärt: „Möglich ist dagegen selbstverständlich, dass eine Person in einem Krankenhaus darum bitten kann. Das bedeutet, er kann sich natürlich auch ohne Einweisungsschein eines Arztes beziehungsweise ohne Anordnung einer Amtsperson in einem Krankenhaus (und damit auch in einer Psychiatrie) – und damit freiwillig - vorstellen.“

Mit anderen Worten: Der Mann hat sich an dem Abend an die falsche Stelle gewandt.

Dass der Sozialpsychiatrische Dienst vom Landkreis den Nachbarn in eine psychiatrische Einrichtung kurzerhand einweisen kann, ist auch ein Irrglaube der verängstigten Nachbarn. Eine Einweisung kann nur in Extremfällen und meist nur für kurze Zeit per Gericht erwirkt werden. Eine Person länger gegen ihren Willen festzuhalten, widerspricht den Grundrechten.

„Liegt keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung vor, gibt es auch keinen Anlass, um jemanden zwangsweise einzuweisen“, so Astrid Müller. „Stellt sich der Betroffene persönlich in einer Klinik vor, entscheidet eben der Arzt.“

Wenn die Polizei aber zu der Einschätzung kommt, dass keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung von einem Menschen ausgeht, zieht sie auch den Sozialpsychiatrischen Dienst nicht hinzu.

Den Nachbarn im Wohngebiet fällt es schwer, für die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Rechtslagen Verständnis aufzubringen. „Alles in allem heißt das wohl, dass man keine Handhabe in dem Fall hat“, so Birgt Fischer. Am Montag soll sie als Zeugin bei der Polizei zum Brand ihrer Haustür aussagen. „Wozu soll ich da eigentlich noch hingehen“, fragt sie sich.