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Coronavirus Beschlüsse ohne Öffentlichkeit?

Damit es keinen Zeitverzug gibt, erlaubt das Land schriftliche und nicht öffentliche Abstimmungen. Wie Staßfurt damit umgeht.

Von Enrico Joo 30.03.2020, 10:14

Staßfurt l Die Welt steht still, Deutschland steht still. Auch die Stadt Staßfurt. So lange wie es nötig ist, ist das öffentliche Leben heruntergefahren. Die Gesundheit geht vor, die Ausbreitung des Coronavirus muss verlangsamt werden. Darüber sind sich ja alle einig. Und doch: Natürlich wird es auch eine Zeit danach geben. In Staßfurt wird parallel viel gebaut. Und in den politischen Gremien müsste eigentlich viel besprochen werden mit weitreichenden Folgen.

Die Ortschaftsräte in der vergangenen Woche wurden auf unbestimmte Zeit verschoben, die Ausschüsse ebenso. Am 16. April soll der Stadtrat tagen. Wobei er das in bewährter Art und Weise natürlich nicht kann. Oberbürgermeister Sven Wagner (SPD) hatte schon angekündigt, dass unaufschiebbare Angelegenheiten auf elektronischem Wege beschlossen werden sollen. Dafür gab es nun am vergangenen Dienstag vom Land rechtlich gesehen grünes Licht. „Dringende Angelegenheiten, die keinen Aufschub dulden, können aufgrund der dynamischen Pandemielage ausnahmsweise in einem vereinfachten schriftlichen Verfahren beschlossen werden“, heißt es aus dem Innenministerium. Das gilt zunächst bis zum 30. April.

Es sind dann also auch nicht öffentliche Beschlüsse gültig. Obwohl die Öffentlichkeit eigentlich vorgesehen ist. Was sind denn solche unaufschiebbaren Angelegenheiten in Staßfurt? Das muss noch geklärt werden. „Wir sind dabei, das abzustimmen“, erklärt Marina Rzehaczek vom Sitzungsdienst der Stadt Staßfurt. „Das klärt der Oberbürgermeister mit dem Stadtratsvorsitzenden.“ Es braucht also ein Einvernehmen. Noch steht die Tagesordnung für den Stadtrat nicht. „Die wird frühestens am 3. April veröffentlicht“, so Rzehaczek.

Falls es dazu kommt, dass gewisse Dinge unaufschiebbar sind, heißt das Zauberwort „Umlaufverfahren“. Damit können Beschlüsse ohne Zusammenkunft eines Gremiums auf schriftlichem Wege gefasst werden. „Dazu braucht es aber das Einvernehmen aller Stadträte“, sagt der Stadtratsvorsitzende Peter Rotter (CDU). „Das ist vielleicht nötig, wenn zum Beispiel bei Vergabeangelegenheiten Terminketten dahinterstecken. Das muss allerdings rechtssicher sein und sollte nur das Ultima Ratio sein.“

Im Landtag wurde kürzlich der Doppelhaushalt des Landes ohne Debatten durchgewunken. Reden wurden schriftlich eingereicht. Dabei waren Abgeordnete aber noch physisch vor Ort. Das ist ja nun nicht mehr möglich. Es kann also nicht debattiert werden. „Als Parlamentarier ist man ja gewählt, um Meinungen zu vertreten. Das ist für den Parlementarismus nicht förderlich“, meint Peter Rotter. „Das kann nur eine Notlösung sein. Ich wünsche mir einen lebendigen Stadtrat.“ Es sei klar, dass fast alle Tagesordnungspunkte verschoben werden auf unbestimmte Zeit.

Abstimmungen zwischen Verwaltung und Politikern finden derweil schon statt. Klaus Magenheimer, Fraktionsvorsitzender der Linken, sagt zum Beispiel: „Es gibt eine nicht-öffentliche Personalangelegenheit im Bauamt, die unaufschiebbar ist. Darüber wurden wir schriftlich informiert. Wir sollten uns bis zum 27. März äußern.“

Ein weiteres Problem könnte die Staßfurter Tafel sein. Der Vertrag mit dem Betreiber läuft am 30. Juni aus. Es braucht eine Regelung, wie es darüber hinaus weiter geht. „Das muss dringend geklärt werden“, sagt Michael Hauschild, Fraktionsvorsitzender SPD/Grüne. Im schlimmsten Fall muss die Tafel schließen, weil die Nachfolgeregelung unklar ist. Wie da in den Ausschüssen vorberaten werden kann? „Vielleicht über eine Telefonkonferenz unter den Ausschussmitgliedern“, schlägt Hauschild vor. Das ist laut Innenministerium möglich: „Soweit möglich, sollten Angelegenheiten, insbesondere solche, die noch nicht in einem Ausschuss beraten wurden, auf geeignete Weise (telefonisch, per Videokonferenz, elektronisch) vorberaten werden“, heißt es aus Magdeburg.

Auch das Projekt soziokulturelles Zentrum im Kaiserhof muss eigentlich vorangetrieben werden. Mehrere Partner wollten dort im gleichen Gebäude verschiedene soziale Angebote vorhalten. Das scheiterte in 2019. „Es braucht Vorschläge für die weitere Nutzung des Gebäudes“, so Magenheimer. Und falls schriftlich darüber gesprochen wird: „Dann wäre vielleicht eine Presseinformation ratsam.“

„Es gibt so viele Baustellen“, sagt auch Peter Rotter. Als Ortsbürgermeister der ehemaligen Gemeinde Förderstedt denkt er da auch an den Albertinesee in Üllnitz. „Wir hatten unseren Bürgern versprochen, dass wir das noch nicht vorhandene Konzept der Verwaltung zur Umgestaltung im Ortschaftsrat thematisieren“, sagt er. Das liegt nun auf Eis. „Vielleicht ist die Badesaison schon voll im Gange, wenn wir es thematisieren können.“ Auch die Rückerstattung der Kitabeiträge sei ein wichtiges Thema laut Klaus Magenheimer.

Generell findet Michael Hauschild: „Es ist eine besondere Situation. Ich bekomme täglich Infos vom Oberbürgermeister, die ich dann weitergebe. Das ersetzt aber nicht die lebendige Streitkultur.“

Für Offenheit und Transparenz steht auch Johann Hauser, Fraktionsvorsitzender der FDP. „Entweder machen wir es richtig oder gar nicht“, sagt er. „Olympia wurde jetzt verschoben, dagegen ist doch der Staßfurter Stadtrat ein Mückenschiss. Das Virus ist auch unaufschiebbar. Es gibt gerade wichtigere Dinge. Man sollte sich auf‘s Wesentliche konzentrieren. Ich habe aber nichts gegen ein Umlaufverfahren bei wichtigen Dingen.“

Das sieht Harald Weise, Fraktionsvorsitzender der Unabhängigen Bürgervertretung Staßfurt (UBvS), ähnlich: „Ich habe Verständnis dafür, dass der Stadtrat nicht stattfindet. Die Übertragungsketten müssen unterbrochen werden. Für einen Umlaufbeschluss bin ich offen. Stadt und Verwaltung müssen handlungsfähig bleiben.“ In der Krise funktioniert der Austausch für ihn gut. „Ich telefoniere sehr viel. Die Kommunikation klappt ganz gut mit der Stadt“, sagt er.

Die fehlende Öffentlichkeit sieht Matthias Büttner, Fraktionsvorsitzender der AfD, kritisch. „Es kommt bei Umlaufbeschlüssen auf die Themen an“, sagt er. „Wenn es aber brisant wird, dann braucht es eine öffentliche Debatte mit Bürgerbeteiligung.“ Seine Fraktion sieht das aber wie andere Fraktionen: „Der Stillstand muss verringert werden. Es ist wichtig und richtig den Laden am Laufen zu halten.“ Falls die Situation es hergibt, hält er auch eine außerordentliche Sitzung des Stadtrates im Mai für notwendig. „Diese Möglichkeit sollte genutzt werden“, sagt Büttner. Auch er sieht beim soziokulturellen Zentrum erheblichen Redebedarf. Das könne nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit debattiert werden.

Dazu gibt es noch andere Themen, die am 16. April hätten diskutiert oder beschlossen werden müssen. Das wären zum Beispiel die Neukalkulation der Friedhofsgebühren, hier sollen Einsparpotentiale eruiert werden. Die Aufwandsentschädigungen für die Feuerwehren der Stadt sollen erhöht werden. Falls anlässlich eines Jubiläums einer Ortschaft ein Heimatfest abgehalten wird, sollen Zuschüsse erhöht werden. Dorfgemeinschaftshausordnungen sollen verändert werden. In Löderburg sollte auch über die geschlossene Sporthalle weiter debattiert werden. All diese Angelegenheiten werden aller Voraussicht nach als aufschiebbar deklariert. Und werden dann in späteren Sitzungen von Ortschaftsräten, Ausschüssen und des Stadtrates erneut auf die Tagesordnung gesetzt.