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Coronavirus Osterpredigt im Radio

Wegen Corona dürfen zu Ostern keine Predigten in den Kirchen gehalten werden. Pfarrer in Staßfurt und Umgebung weichen auf das Radio aus.

Von Enrico Joo 09.04.2020, 01:01

Staßfurt/Güsten/Hecklingen l Verlassen waren die Bänke in der St.-Vitus-Kirche in Güsten am sonnigen Dienstag Nachmittag. Kein Gläubiger hatte seinen Weg in die Kirche gefunden, die ja sowieso nur noch zu bestimmten Zeiten für die „individuelle, stille Einkehr“ geöffnet ist. Aber ohne Publikum hatte sich innen trotzdem ein kleines Grüppchen versammelt, das natürlich zueinander gebührend Abstand hielt. Der Güstener Pfarrer Arne Tesdorff hielt eine Predigt in den leeren Raum. Kornelius Werner – Pfarrer im Pfarrbereich Hecklingen – steuerte kleine Gebete bei und übernahm die Begrüßung. Im Hintergrund breitete ein vierstimmiger Chor einen Klangteppich aus, Kantorin Birgit Wassermann begleitete an der Orgel. Mit flinken Fingern. Wie immer.

Was ist das? Eine Probe in der leeren Kirche? Eine Fingerübung der Gemeinde für später? Nicht doch. Aufschlussreich ist das Mikro, das vor Arne Tesdorff aufgebaut ist. Bedächtig spricht der Pfarrer dort hinein. Die Tonspur wird aufgenommen. Insgesamt geht die besondere Predigt knapp 20 Minuten.

Und ja, es wird wohl sogar so sein: Obwohl niemand physisch vor Ort ist, wird das Publikum größer sein als sonst. Denn jeder kann sich den Gottesdienst anhören. Es braucht dazu: Ein UKW-Radio, das am Ostersonntag um 10.30 Uhr auf die Frequenz 92.5 eingestellt wird. Der regionale Radiosender HBW, der auch im Internet empfangbar ist, strahlt die Predigt im Radio aus. Am Ostermontag um 8 Uhr wird sie wiederholt. Im Kirchenboten wurden die Gemeindemitglieder per Einlieger auch darauf hingewiesen.

Jeden Sonnabend gibt es bei dem kleinen Sender kleine Andachten. Und nachdem Kornelius Werner ursprünglich die Idee hatte, zu Ostern einen Videogottesdienst zu drehen als Ersatz für den echten in der Kirche, hatte Arne Tesdorff diese bessere Idee. „Ich stehe zwar per WhatsApp in Kontakt mit Gemeindemitgliedern. Ich habe mich aber gefragt, wie Leute erreicht werden können, die nicht im Internet unterwegs sind“, sagt er. Was ja gerade bei den älteren bibeltreuen Kirchengängern noch eine ganze Menge sind. Also nahm Tesdorff Kontakt zu HBW auf. „Die waren sofort dabei“, sagt Tesdorff.

So erreichen die Pfarrer ihre Gemeinde, obwohl Gottesdienste wegen Corona in der Kirche nicht erlaubt sind. Die Entscheidung, die Predigt in der leeren Kirche und nicht etwa im Wohnzimmer aufzunehmen, fiel dabei bewusst. „Es sollte nicht steril klingen. Wir wollten Kirchenakustik“, sagt Kornelius Werner. „Und das Kirchenglockengeläut kommt aus Hecklingen. Das klingt da einfach am besten.“ Jetzt lacht er, der Pfarrer Werner.

Der Ostergottesdienst thematisiert dabei natürlich auch die aktuelle Situation. Pfarrer sind da als Seelentröster und Zuhörer mehr denn je gefragt. „Wenn ich die älteren Leute anrufe, merke ich, dass diese mehr Redebedarf haben“, sagt Kornelius Werner. „Es gibt diffuse Ängste und Sorgen, die sich nicht richtig erklären lassen. Vielen wird bewusst, dass gar nichts sicher ist in diesem Leben. Es herrscht eine Stimmung, dass alles den Bach heruntergeht.“ Hier ist der Pfarrer auch als Mutmacher und seelischer Aufbaumeister gefragt. Wenngleich er die drängendste Frage nicht beantworten kann: Wie lange hält dieser auch seelische Ausnahmezustand an?

Sowohl Kornelius Werner als auch Arne Tesdorff denken in diesen Stunden vor allem viel an die älteren Menschen in den Pflegeheimen. „Die sind da eingesperrt und keiner weiß, wie lange das dauert“, sagt Tesdorff. „Da ist Seelsorge mehr denn je gefragt.“ Der Güstener Pfarrer ist dazu übergegangen, täglich einen Brief als Mail an die Heime zu schicken. Dieser wird dann in den Heimen ausgehängt oder vorgelesen. Das ist ein kleiner Lichtstrahl in dunklen Stunden, der Trost spendet. Für Tesdorff ist das auch als Pfarrer eine schwere Zeit, weil der direkte Austausch fehlt. „Ich brauche den Kontakt, spreche die Leute im Gottesdienst auch direkt an. Das fehlt“, sagt er. Am vergangenen Sonntag war Tesdorff mit seiner Frau in der Kirche. Beim Gottesdienst ohne Gemeinde. „Das war einfach sehr traurig“, so Tesdorff.

Trotz aller Trübnis. Kornelius Werner begreift die Krise auch als „Riesenchance“, wie er es bezeichnet. „Ich bin jetzt dankbar für die kleinen Dinge. Ich bin dankbar für meine Familie, für das Haus mit Garten. Das ist auf einmal mehr Wert.“ Dankbarkeit und Demut sind Werte, die jetzt mehr Raum einnehmen als sonst. „Ich glaube, dass der starke Einschnitt im Gedächtnis bleiben wird. Vielleicht schärft es den Blick. Menschen zehren auch im positiven Sinne davon, es geschafft zu haben“, so Werner. Der Pfarrer wird auch an Ostern in den Kirchen zu finden sein. Er wird vielleicht ein paar Worte verlieren. Trost spenden auch ohne Andacht. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie es sein wird, keinen Gottesdienst abzuhalten. Gerade für ältere Menschen ist das ein sozialer Höhepunkt.“ Der nun stiller und aus der Ferne die Menschen erreicht.

Trotz Corona sind die Kirchen im Pfarrbereich Hecklingen für eine individuelle und stille Einkehr zu folgenden Zeiten geöffnet: In Hecklingen am Karfreitag 15 Uhr, am Karsamstag zur Osternacht um 21 Uhr sowie am Ostermontag um 10 Uhr. In Neundorf am Karfreitag und am Ostersonntag jeweils um 14 Uhr, in Leopoldshall an den gleichen Tagen jeweils um 10 Uhr. Die Kirchen sind zu diesen Zeiten jeweils für eine halbe Stunde geöffnet. In Leopoldshall werden außerdem in der Osternacht, Karsamstag um 22 Uhr, zur Feier der Auferstehung die Glocken der St.-Johannis-Kirche läuten.