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Coronavirus Schwere Zeiten für Künstler

Künstler sind mit existentiellen Nöten konfrontiert. Das Land sichert Soforthilfe zu, die aber die fehlenden Einnahmen nicht auffängt.

25.03.2020, 23:01

Staßfurt l Wenn alles schläft, ist Uwe Doberstein wach. Er wirft sich dann rechts herum und links herum, starrt an die Decke, die Augen weit aufgerissen und das Grübelkarussell dreht und dreht sich. „Bis 4 Uhr nachts habe ich die Tage wach gelegen“, erzählt der Hohenerxlebener. Uwe Doberstein ist Musiker. Ein sogenannter Soloselbstständiger. Seit 1994 ist Doberstein selbstständig, seit 1980 steht der 55-Jährige auf der Bühne. Er liebt seinen Job, er liebt es, wenn Menschen sich über seine Musik freuen. Er verdient seinen Lebensunterhalt nur mit seiner Stimme, seiner Gitarre und dem Talent, Leute unterhalten zu können.

Also eigentlich ist das so. Denn uneigentlich ist in diesen Tagen ja nichts mehr normal. Die Corona-Krise ist eine existenziell bedrohliche Krise für einen wie Uwe Doberstein. „Auf verständliche staatliche Anordnung wurden mir alle Termine für die nächste Zeit gekündigt. Somit wurde mein Monatseinkommen auf Null gesetzt“, erzählt er. „Ich habe quasi Berufsverbot bekommen.“ Und nun? „Wie soll ich meine Krankenversicherung, Hauskredit, Gas, Strom und sonstige Nebenkosten wie Versicherungen bezahlen?“

Sachsen-Anhalt will seinen Künstlern mit einem Soforthilfeprogramm unter die Arme greifen. Musiker, Schauspieler, bildende Künstler und Schriftsteller können demnach eine Soforthilfe von 400 Euro pro Person und Monat beantragen. Nur: „Wenn ich von diesem Betrag die Fixkosten bezahle, hab ich nichts zum Essen“, so Doberstein.

Für sich und seine Frau reicht das natürlich nicht zum Leben. Rücklagen gibt es durch die geringen Einnahmen nicht, auch weil seine Frau gesundheitsbedingt nicht arbeiten kann. Er rief bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) an, dann rief er beim Jobcenter an. Dort wurde ihm geholfen. „Da sagte mir ein netter Herr, ich solle Grundsicherung beantragen. Man würde unbürokratisch und schnell helfen“, so Doberstein. „Da habe ich Rotz und Wasser geheult. Der Mann hat mich wieder aufgefangen.“ Erleichterung floss in Form von Tränen in seinem Gesicht herunter. Den Kredit für sein Haus konnte er für ein halbes Jahr aussetzen. „Ich will ja nicht reich werden, nur überleben“, sagt Doberstein. Der Antrag auf Soforthilfe gilt für zwei Monate, dazu hat das Ehepaar nun also Arbeitslosengeld II beantragt. Etwa 1000 Euro brauchen die Dobersteins im Monat zum Leben.

Schwierig ist die Zeit gerade auch für Ritchy Stock. Er hat am Montag sein E-Mail-Konto geöffnet und dort wieder nur schlechte Nachrichten gelesen. „Allein da habe ich vier Absagen bekommen“, sagt er. Ritchy Stock ist freiberuflicher Fotograf in Staßfurt. In der Steinstraße hat er sein Studio. Auch in Corona-Zeiten findet man ihn dort. „Ich sitze im Büro. Die Tür ist zu, aber es ist ein Zettel dran, dass man mich anrufen kann. Dann komme ich vor die Tür.“ Nur kommt ja gerade keiner mehr. „Seit Freitag ist das Geschäft tot“, sagt er.

Neue Aufträge bekommt er nicht. Die bereits vorhandenen werden abgesagt. „Ich habe keine Rücklagen“, sagt er. Seit Juli 2018 findet man Stock in der Steinstraße. Drei Jahre davor war er schon einmal umgezogen. Zweimal musste er also große Summen in eine Renovierung stecken. Und auch bei ihm gilt ja: Reich wird er durch seine Arbeit nicht. „Für einen Monat reicht mein Geld noch, dann wird das Bein aber dicke“, sagt er.

Ob er ebenfalls schon versucht hat, Anträge zu stellen? Das noch nicht. „Ich harre der Dinge“, sagt Ritchy Stock. „Aber natürlich hoffe ich auf staatliche Unterstützung, damit meine laufenden Kosten aufgefangen werden.“ Gerade ist noch Winterloch. Da hat ein Fotograf sowieso kaum Aufträge. „Es ist gerade Saure-Gurken-Zeit“, so Stock. „Aber wenn im Sommer alle Hochzeitsshootings oder die Naturshootings ausfallen, dann habe ich ein Problem.“ Gut für ihn: Er ist nicht allein. „Ich habe eine arbeitende Frau“, sagt er. „Dadurch ist zumindest Nahrung und Wohnung gesichert.“ Aber natürlich muss der Gürtel enger geschnallt werden.

Dass es ein Balanceakt als Berufs-Musiker ohne geregeltes Einkommen ist, merken gerade auch die fünf Jungs von Tänzchentee. Wären gerade normale Zeiten, würde die Coverband, die zum großen Teil aus Bernburg kommt, jedes Wochenende auf der Bühne stehen. „Im März und April geht es eigentlich richtig los“, sagt Silvio Jänicke, Gitarrist bei der vielleicht beliebtesten Coverband Sachsen-Anhalts. Gerade im Juni, Juli und August kommen die heißen Tage, in denen kein Wochenende ohne Auftritt vorbeigeht. Was da wird, ist offen. „Wir haben etwa 100 Veranstaltungen im Jahr. Nun wurden schon sechs Mucken abgesagt“, erklärt Jänicke. Das letzte Mal auf der Bühne zu sehen war Tänzchentee auf einer Frauentagsparty in Lochau Anfang März. „Wir gucken gerade, wie weit das geht und entscheiden von Woche zu Woche“, so Jänicke.

Panik macht sich also nicht breit. Aber die Verunsicherung ist spürbar. Nicht nur die fünf Bandmitglieder finanzieren ihr Leben durch die Musik, dazu gibt es auch zwei Techniker. Zwischen 300 und 500 Euro verdienen die Musiker pro Auftritt. Das geht dann im Monat schnell in die Tausende Euro, die da wegbrechen. „Einige haben Rücklagen, andere arbeiten nebenbei an der Musikschule“, sagt Jänicke. Aber die ist ja nun auch geschlossen. Bei Jänicke ist das so: „Meine Frau verdient was“, sagt er. Dadurch kann er über die Runden kommen. „Wir haben aber auch einen in der Band, der alleine dasteht, ohne Freundin, ohne Rücklagen.“

Auch Silvio Jänicke hat sich mit der Option befasst, Arbeitslosengeld II zu beantragen. „Das wäre eine Maßnahme. Generell sind wir dankbar für jede Hilfe.“ Er ahnt: „Vielleicht müssen wir ein Jahr durchhalten.“ Und sieht das nächste Problem in der Zeit danach auf die Band zukommen. „Selbst wenn wir wieder auftreten dürfen, kann es sein, dass einige keinen Bedarf mehr nach Unterhaltungsmusik haben oder Veranstalter nach schweren Zeiten kein Geld mehr haben, um uns zu buchen. Das würde unsere Existenz als Band bedrohen. Vielleicht müssen wir uns auch andere Jobs suchen.“

Uwe Doberstein rechnet vor, dass ungefähr drei Millionen Künstler in Deutschland um ihre Existenz bangen. Diese angemessen in Höhe ihres Einkommens zu unterstützen, wäre laut des Hohenerxlebeners einfach. „Mein Einkommen ist ja bei der Künstlersozialkasse hinterlegt. Ein entsprechender Ausgleich für die Zeit, in der ich nichts verdiene, würde helfen“, sagt er. Bei ihm wären das in den warmen Monaten zwischen 2000 und 3000 Euro pro Monat, die dann auch Puffer für die kalten, auftrittslosen Tage im Winter sind. „Das ist eine völlig neue Situation“, sagt Doberstein. Im April feiert der Musiker sein 40-jähriges Bühnenjubiläum. Grund zum Feiern hat er aktuell aber nicht.