Einzelhandel Sorge um Bezahlung

Schon jetzt werden die Real-Mitarbeiter nicht nach Flächentarifverträgen bezahlt. Das könnte sich unter dem neuen Besitzer Edeka fortsetzen.

01.08.2020, 11:58

Staßfurt l Dem Bundeskartellamt kommt eine wichtige Rolle zu. Die nächsten Monate wird sich die Behörde Zeit nehmen, um den geplanten Verkauf von einem Großteil der 276 Real-Märkte in Deutschland zu untersuchen. Etwa 100 Märkte sollen an Kaufland gehen, um die 50 an Edeka. Die Tiefenprüfung wird mindestens bis Oktober dauern. Auch für die Filiale in Staßfurt, an welcher Edeka laut übereinstimmenden Medienberichten Interesse haben soll.

Was heißt das für die etwas über 100 Mitarbeiter in Staßfurt vor Ort? Ist die Unsicherheit damit nicht mehr ganz so groß? Sicher nicht. Der anhaltische Bundestagsabgeordnete Jan Korte (Linke) fordert für die Beschäftigten die „Rückkehr zum Verdi-Tarifvertrag“. „Wie schon in der Vergangenheit die Metro AG verweigert auch SCP als neuer Eigentümer die Tarifbindung an die für den Einzelhandel relevanten Verdi-Flächentarifverträge und bleibt weiter auf Dumpingkurs“, kritisiert Korte. Real bleibe somit ein tarifloses Unternehmen. Das habe zur Folge, dass Beschäftigte für die gleiche Arbeit völlig unterschiedlich bezahlt werden.

Ist Real ein tarifloses Unternehmen? Der Lebensmittelhändler bestreitet das. „Real gehört seit Jahrzehnten zu den wenigen tariftreuen Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels und ist auch heute nach wie vor ein tarifgebundenes Unternehmen“, erklärt Real-Pressesprecher Frank Grüneisen auf Volksstimme-Anfrage. „Darüber hinaus ist Real ein Unternehmen, in dem auf allen Ebenen die betriebliche Mitbestimmung gelebt wird. So gehört Real zu den wenigen Unternehmen, in denen es an jedem Standort einen Betriebsrat gibt.“

Dabei ist die Gemengelage kompliziert. In den Real-Betrieben gelten seit Juni 2018 Tarifverträge. Die seien laut Real letztmalig im Dezember 2017 zwischen dem Arbeitgeberverband AHD und der Gewerkschaft DHV verhandelt wurden. Die DHV ist eine Berufsgewerkschaft mit bundesweit über 70 000 Mitgliedern. Real bezahlt seine Mitarbeiter also nach Tarif dieser Gewerkschaft. Bestandsmitarbeiter aus der Zeit davor werden zudem weiter nach Flächentarifvertrag bezahlt.

Das stößt wiederum bei der Gewerkschaft Verdi auf Widerstand. „Neu eingestellte Mitarbeiter bei Real liegen etwa 300 Euro unter dem Flächentarifvertrag“, sagt Jörg Lauenroth-Mago, Fachbereichsleiter Handel bei Verdi im mitteldeutschen Raum. „Real ist zudem 2015 aus dem Arbeitgeberverband ausgestiegen.“ Bei Bestandsmitarbeitern würden die Tarife also seitdem auch nicht mehr angepasst werden und auf dem Niveau von 2015 verharren.

Jan Korte sagt: „Durch das Umgehen des bis 2018 gültigen Verdi-Tarifvertrages sind die Löhne neuer Mitarbeiter um bis zu 25 Prozent gesunken. Nach meiner Auffassung und die der Gewerkschaften und des Real-Betriebsrates ist dieser im Jahr 2018 vollzogene Schritt der Metro AG nichts anderes als Lohndumping und Tarifflucht.“

Den Vorwurf des Lohndumpings lässt Real nicht auf sich sitzen. „Real zahlt nach wie vor - insbesondere im Vergleich zu seinen Wettbewerbern - sehr kompetitive Löhne“, sagt Frank Grüneisen. „So erhält ein neu eingestellter Kassierer 1900 Euro brutto im Monat, ein neu eingestellter Verkäufer 2100 Euro brutto im Monat. Fachverkäufer in Tätigkeiten, für welche eine Ausbildung und vertiefte Warenkunde erforderlich sind (zum Beispiel im Frische- oder Elektrobereich) erhalten 2200 Euro brutto im Monat. Dazu kommen Urlaubs- und Weihnachtsgeld“, rechnet Grüneisen vor. „Mit diesen Entgelten liegt Real bei Berufseinsteigern zudem teilweise deutlich über den Entgelten in den mit Verdi verhandelten Flächentarifverträgen.“

Dieser Vergleich hinkt laut Verdi. So würde Real von einer 40-Stunden-Woche ausgehen, die laut Lauenroth-Mago nicht realistisch ist. Verdi gehe von einer 38-Stunden-Woche aus. Ungelernte Kassiererinnen würden, wie Lauenroth-Mago sagt, laut Flächentarifvertrag 1828 Euro brutto bekommen, Verkäuferinnen mit drei Jahren Ausbildung 2283 Euro brutto im Monat. Es würde zudem nicht zwischen Kassiererinnen und Verkäuferinnen unterschieden. Nach sieben Jahren seien bis zu 2666 Euro brutto möglich.

Warum das wichtig ist? Verdi und Jan Korte wollen, dass dieser Flächentarifvertrag unter neuem Betreiber gilt. Jörg Lauenroth-Mago hat dabei die Befürchtung, dass das mit Edeka als zukünftigem Betreiber schwierig werden könnte. Mit Edeka, Kaufland, Rewe und Globus haben vier Branchenriesen Interesse an Real-Märkten. Grundsätzlich gilt: „Dort herrschen klare Strukturen und Perspektiven“, sagt Lauenroth-Mago. Die Einzelhändler wären tarifgebunden. „Bei Edeka und Rewe schwingt aber Unsicherheit mit“, so der Verdi-Fachbereichsleiter. „Viele Märkte sind regiegebunden“, sagt er. Die Märkte werden also von Edeka selbst betrieben. „Schwierig wird es aber, wenn die Märkte privatisiert werden. Dann kümmern sich selbstständige Kaufleute. Die Tarifbindung fällt weg. Es wird nur etwas mehr als Mindestlohn bezahlt.“ Unter dem Strich hätten die Mitarbeiter seiner Meinung nach 300 bis 400 Euro weniger in der Tasche pro Monat. Auch Urlaubs- und Weihnachtsgeld würde nicht gezahlt. „Das ist Pseudoselbstständigkeit“, findet er.

Oft finden sich auch in dieser Region privat geführte Edeka-Märkte. Laut Lauenroth-Mago seien es aber auch größere E-Center, die privat geführt würden. Droht also auch einem potenziellen Edeka in Staßfurt an der Hohenerxlebener Straße eine Privatisierung? „Das ist durchaus möglich“, sagt Lauenroth-Mago. „Wir fragen bei Edeka und Rewe immer wieder nach, was sie denn vorhaben.“ Edeka selbst will sich dazu nicht äußern.

Die Volksstimme fragte: „Sollen die Märkte, die Edeka übernehmen möchte, sogenannte ‚Regie-Märkte‘ werden? Oder sollen die Märkte privat geführt werden?“ Jennifer Teichert von der Edeka-Pressestelle antwortet: „So lange keine Entscheidung des Bundeskartellamtes vorliegt, welche Standorte von wem übernommen werden dürfen, können wir uns nicht konkret äußern.“

Bis zur Entscheidung werden also die seit 2018 neu eingestellten Real-Mitarbeiter noch nach einem DHV-Tarifvertrag bezahlt. Das Landesarbeitsgericht Hamburg hatte dabei im Mai dieses Jahres entschieden, dass die DHV-Berufsgewerkschaft nicht mehr tariffähig sei. Der Grund: zu geringer Organisationsgrad und damit zu geringe Durchsetzungskraft. Die Tarifverträge basierten nicht auf dem Beschäftigtenwillen.

Geklagt hatten die Gewerkschaften Verdi, IG Metall, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten sowie die obersten Arbeitsbehörden der Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen. Die DHV will das Urteil anfechten. Korte sieht sich dabei in seiner Einschätzung bestätigt, dass bei Real Lohnraub und Tarifflucht begangen wird.