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Fischsterben Empört über Anschuldigungen

In der Debatte um das Fischsterben in Staßfurt geraten bisher Unbeteiligte als mögliche Verursacher ins Visier.

25.08.2019, 23:01

Staßfurt l Die Ermittlungen zum Fischsterben sind äußerst schwierig. Behörden, Polizei und Staatsanwaltschaft müssen eindeutige Beweise bringen, um den Verursacher der Vorfälle zu ermitteln. Wahrscheinlich ist aktuell, dass das nicht zweifelsfrei gelingen wird. Gleichzeitig kommen immer mehr Details zu Einleitungen in die Bode ans Licht.

Eine Information betrifft die Stelle, ab der das aktuelle Fischsterben flussabwärts auftrat: Diese Einleitstelle vor der Liebesbrücke wird nicht nur vom Sodawerk benutzt. Laut Landesverwaltungsamt, das Einleitungen in alle Flüsse überwacht, gibt es neben dem Sodawerk zwei weitere Organisationen, die diesen Kanal benutzen können.

Eine ist die Stadt Staßfurt: Ihr gehört beim Athenslebener Weg seit langem eine Pumpstation, da in der Stadt wegen der Bergbausenkungen das Grundwasser künstlich in Schach gehalten werden muss. „Diese Pumpstation ist aber schon seit sechs Jahren nicht mehr aktiv“, erklärt Oberbürgermeister Sven Wagner (SPD) auf Nachfrage. Die Stadt lässt demnach kein Wasser mehr vom Athenslebener Weg mit in den Kanal nahe Liebesbrücke ablaufen.

Außerdem benutzt die OHplus den Kanal. Das Chemie-Unternehmen stellt Glycerin aus Resten der Bio-Diesel-Produktion her. Ebenso, wie das Sodawerk in den Kanal einleitet, schließt sich die OHplus als „Nachbar“ gegenüber im Athenslebener Weg an den Kanal an. „Wir leiten in diesen Kanal ausschließlich Kühlwasser aus unserem Kühlturm ein“, sagt Geschäftsführer Knut Brockhaus auf Nachfrage. Es handelt sich um einen geschlossenen Kreislauf. „Wir leiten dort keine Schadstoffe ein“, betont Brockhaus. Glycerin, sprich Zuckeralkohol, ist außerdem nicht giftig. Für den Geschäftsführer persönlich ist es übrigens schwer nachvollziehbar, wie es mit dem heutigen Stand der Technik überhaupt noch zu so einem Fischsterben kommen kann.

Auch die Ciech Soda erklärte bereits mehrfach, dass keine ungewöhnlichen Einleitungen zum aktuellen Fischsterben in Staßfurt geführt hätten.

Die Abwasserentsorgung in Staßfurt war in den Fokus geraten, als sich Ex-Soda-Geschäftsführer Ulrich Eichhorn in die Debatte einbrachte. Er nahm das Sodawerk, wo er bis 2011 Geschäftsführer war, in Schutz und führte die „eingeleiteten Abwässer der Kläranlage“ als mögliche Ursache ins Feld. Der Wasser- und Abwasserzweckverband WAZV „Bode-Wipper“ in Staßfurt schließt ein Fischsterben durch Abwasser aus seinen Kanälen aber mit Nachdruck aus. „Unsere Kläranlage liegt zwischen Staßfurt und Hohenerxleben und damit flussabwärts ein ganzes Stück weg“, sagt Verbandsgeschäftsführer Andreas Beyer. Das in der Kläranlage behandelte und gereinigte Abwasser werde auch dort in die Bode geleitet. Dabei müssen gesetzlich vorgeschriebene Grenzwerte für Schadstoffmengen bei Ammonium, Stickstoff und Phosphor eingehalten werden. Gefährliche Schadstoffe in der Kläranlage hätten außerdem einen Alarm ausgelöst.

„Wir können auch ausschließen, dass das Fischsterben durch illegale Abwasser-einleitungen geschehen ist“, so Beyer. Der Verband verfügt über fünf Kanäle und zwei Stauraumkanäle in der Stadt, die im Notfall Mischwasser (Regen- und stark verdünntes Schmutzwasser) in die Bode abschlagen. Diese Einleitungen sind möglich, wenn das Kanalsystem durch Starkregen hydraulisch extrem überlastet ist. In den letzten drei Wochen sei der nächstgelegene Überlauf des WAZV aber nicht angeschlagen. Dieser Überlauf liegt außerdem flussaufwärts 400 Meter vor der Einleitstelle, wo die ersten toten Fische gefunden wurden. „Und es hatte bei weitem nicht so viel geregnet, dass dieser Abschlag angesprungen wäre“, erklärt Beyer. Der darauffolgende Überlauf liegt erst hinter der Bodebrücke am Schönen Blick.

Auch bei weiteren „Verdächtigten“ ist der Ärger groß. Carl-Albrecht Bartmer regierte gleich am nächsten Tag empört, nachdem die Ciech Soda Landwirte als mögliche Verursacher des Fischsterbens genannt und erklärt hatte, dass Einträge von Nitrat beziehungsweise Nitrit durch intensive Landwirtschaft zu Gewässerverschmutzungen führen können. „Landwirte? Die gibt es auch oberhalb dieses Flussabschnittes, dort, wo die Bode sich eines guten, immer besseren ökologischen Zustands erfreut“, schrieb der Landwirt aus Löbnitz. Der Atzendorfer Stadtrat und Landwirt Johann Hauser (FDP) schimpfte: „Alles auf die Landwirte zu schieben, überschreitet die Grenze.“

Die Landwirtschaft ist mit 63 Prozent Hauptverursacher der Stickstoffemissionen in Deutschland, die langfristig weiter reduziert werden sollen. Nitrat kann durch Düngung von Feldern in den Boden gelangen und weiter in Gewässer und Grundwasser getragen werden. Dabei schreibt die Düngeverordnung den Landwirten für jede Ackereinheit vor, den Düngebedarf jedes Jahr anhand vieler Faktoren neu zu berechnen.

Kann punktuell zu viel Nitrat in einen Fluss gelangen, das zum Fischsterben führen könnte? Es sei zwar „theoretisch möglich, dass durch einen Defekt, Unfall oder andere Fälle höherer Gewalt aus der Landwirtschaft Schadstoffe in die Bode gelangen könnten“, erklärt Christian Apprecht vom Bauernverband „Börde“, der Landwirte in Staßfurt, Egeln und Hecklingen vertritt.

„Rein praktisch wird die Gefahr für einen generellen Schadstoffeintrag in Gewässer durch strenge Abstandsauflagen für die Ausbringung von Pflanzenschutz- oder Düngemitteln absolut minimiert.“ Beim Düngen von Feldern – die außerdem gar nicht am Ufer der Bode liegen – müssen Landwirte drei Meter Abstand zur Böschung eines Gewässers halten. „Dann ist gewährleistet, dass auch bei Windböen keine Düngemittel in den Böschungsbereich gelangen“, so Apprecht. Der Abstand kann auf einen Meter verringert werden, wenn Techniken zum Einsatz kommen, die den Dünger direkt platzieren wie Schleppschlauch, Schlitzverfahren, Grenzstreueinrichtungen oder Feldspritzen. Für Pflanzenschutzmittel gilt übrigens ein Mindestabstand von fünf Metern.