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Schlossstiftung 20 Jahre: Wie alles begann

Ein gerissener Immobilienhai, ein riesiger Schüssel und ein großer Bluff - vom Beginn der Schlosstiftung in Hohenerxleben.

02.09.2017, 23:54

Hohenerxleben l Ein gerissener Immobilienhai, ein riesiger Schüssel und am Ende ein großer Bluff. All das gehört zu der abenteuerlichen Geschichte, als Kulturschaffende vor 20 Jahren das Schloss Hohenerxleben übernahmen. Ingrid v. Krosigk, die sich eigentlich nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigt, erzählt uns freundlicherweise, wie alles begann. 2015 hatte sie ihr Amt als Stiftungspräsidentin aufgegeben und sich, auch wegen einer Krankheit, aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Doch nun steht an diesem Sonnabend ein großes Jubiläum an - 20 Jahre Schlossstiftung.

Ingrid v. Krosigk strahlt heute noch, wenn sie die abenteuerliche Geschichte der Stiftung erzählt. Sie stellt stets das Positive in den Vordergrund, ist offen, begeisterungsfähig und wie ihr Lebensweg zeigt eine ziemlich mutige Frau.

Die Geschichte der Schlossstiftung beginnt eigentlich in Berlin. Bereits dort arbeiteten viele der heutigen Kreativen des Schlosses Hohenerxleben in einem Kunst- und Gesundungshaus zusammen. Ingrid v. Krosigk, die besonders im Bereich der Atemtherapie wirkte, hatte dort schon Nikoline F. Kurse, Heinrich D. Funke, Christian Alberta, ihre Tochter Friederike v. Krosigk natürlich und Markus Vongries und Caroline Vongries an ihrer Seite. Man verband schon dort künstlerische Arbeit mit therapeutischen Ansätzen.

Am 15. August 1996 hatten Ingrid v. Krosigk und Heinrich D. Funke dienstlich in Bernburg zu tun. Es ging um Atemtherapie, deswegen waren sie in der Klinik. „Der Arzt, der dort arbeitete, sagte mir, der Name v. Krosigk erinnere ihn an etwas und wies uns auf das Schloss in Hohenerxleben hin“, erzählt Ingrid v. Krosigk.

Während Heinrich D. Funke und die anderen Mitgereisten Feuer und Flamme waren und sich sofort das Schloss ansehen wollten, wollte Ingrid v. Krosigk das eigentlich nicht. Denn zu dem Zeitpunkt war ihre Verbindung mit der Adelsfamilie v. Krosigk schon zerbrochen. Ihr einstiger Ehemann Adolf-Lorenz v. Krosigk ging mittlerweile eigene Wege, letzter Besitzer des Schlosses war, noch vor der Enteignung, ihr Schwiegervater.

„Ich werde nie vergessen, wie wir mit dem Auto vor dieser Ruine standen“, erzählt sie weiter. „Ich habe dann gleich gesagt: Ich gehe hier nicht rein.“ Der einstige Besitz des Adelsfamilie gehe sie ja nun nichts mehr an. Die anderen benutzten eine List. Während Ingrid v. Krosigk jemand anderen im Dorf besuchte, stiegen sie ins einfach Schloss ein und waren sofort beeindruckt.

Im Hintergrund stand für alle damals schon die Suche nach einem Zentrum für Kunst und Gesundung, das sich die Gruppe aus Berlin neu schaffen wollte. „Ich wollte das damals eigentlich auch nicht, weil ich schon 65 Jahre alt war“, erklärt Ingrid v. Krosigk. So ein großes Gebäude bedeutete immerhin viel Verantwortung. Heute müssen Ingrid v. Krosigk und Heinrich D. Funke lachen, wenn sie diese Geschichte erzählen. „Sie wollte wirklich nicht, aber wir haben sie nach und nach überreden können“, sagt Heinrich D. Funke.

„Das Schloss gehörte damals einem großen Immobilienhändler, Besitzer von 17 Schlössern in Deutschland, auch als Burgenkönig bekannt“, erzählt Heinrich D. Funke weiter. Ein Immobilienhai wie er im Buche stand, immer mit einem riesigen Goldkreuz um den Hals, den die Künstler als interessante Persönlichkeit wahrnahmen. Er kaufte eine Immobile nach der anderen. „Er hatte das Schloss Hohenerxleben nach der Wende für 100 000 D-Mark erworben“, so Funke.

Heinrich D. Funke übernahm dann das Kreativhaus in der Friedensallee, das heute zur Stiftung gehört. In der Zeit gab es zwei Begegnungen, die im Zuge der Stiftungsgeschichte wichtig waren. Um das ruinöse Schloss herum und auch im Inneren hatten immer Jugendliche aus dem Ort gespielt. Eines Tages traf Heinrich D. Funke auf ein 14-jähriges Mädchen, die vorm Schloss herumlungerte: „Das Mädchen hieß Marie. Sie sagte mir: ‚Wir sind so verlassen hier. Bitte kommt hierher und macht etwas mit uns.‘ Sie wollte uns dafür sogar die Hälfte ihres Taschengeldes überlassen“. Das Mädchen wünschte sich Freizeitaktivitäten für die Kinder und Jugendlichen im Dorf, Theater oder ähnliches.

Dann gab es noch so eine Begegnung, die für Heinrich D. Funke ein Zeichen war: Als es im Kreativhaus um die Wasserleitungen ging, die zu erneuern waren, sprach der Bauamtsleiter der Stadt ebenfalls von Jugendarbeit. „Ich wusste gar nicht, was der Mann von mir wollte. Er erklärte, dass es im Ort an Tanz und Gesang für Kinder und Jugendliche fehlte und das man so etwas hier brauchen könne. Seine Tochter würde gern tanzen“, so Heinrich D. Funke. Wie wäre es denn, wenn die Künstler aus Berlin das Schloss dazu nutzen?

„Er rief ganz aufgeregt bei mir an und erzählte mir diese Geschichte“, erklärt Ingrid v. Krosigk heute. Ihre Kollegen aus Berlin wollten dieses Schloss nun unbedingt zum neuen Zentrum für Kultur, Kunst und therapeutische Heilmethoden machen. „Wir waren schon mutig damals, aber wir wollten aber nicht ohne Ingrid machen. So ein großes Schloss und die Idee der Stiftung - wir hatten ja damals alle keine Ahnung davon“, erzählt Heinrich D. Funke.

Aber beschlossen war beschlossen. Ingrid v. Krosigk machte mit, informierte sich über das Stiftungswesen, schrieb in Berlin ein Konzept und nahm mit dem Burgenkönig Kontakt auf.

Und beinahe wäre man auf den Immobilienhai hereingefallen. Er bot den Kreativen aus Berlin das Schloss zur Pacht für einen Euro an. „Ich wusste auch nicht, was die Hintergründe waren. Der damalige Innenminister Manfred Püchel, den ich zu der Zeit kennengelernt habe, warnte mich aber davor“, so Ingrid v. Krosigk. Dieser vermutete, dass der Mann ihnen das Schloss wieder wegnimmt, nachdem sie es wieder aufgebaut hatten.

Dann kam der große Bluff. Ingrid v. Krosigk und ihre Mitstreiter erreichten gerade das Schloss, als bereits ein anderer Kaufinteressent vor Ort war. Dieser wollte eine Art Erlebnishotel, ein Geisterschloss, daraus machen. „Dann habe ich einfach geblufft“, erzählt Ingrid v. Krosigk und zwinkert. „Ich ging auf die Leute zu und sagte Ihnen: Es tut mir leid, aber wir haben das Schloss gerade gekauft.“ Der Bluff wirkte: „Die Dame ging in ihr Auto und übergab mir einen riesigen alten Schlüssel und meinte: ‚Dann ist das wohl jetzt Ihrer‘“. Die Kaufinteressenten zogen ab.

Nach weiteren Verhandlungen mit dem Burgenkönig „hat es Ingrid ihm abgeschwatzt“, lacht Heinrich D. Funke heute. Sie konnten den Baulöwen überreden, das Schloss für 260 000 D-Mark an sie zu verkaufen. Erst war die Gesellschaft bürgerlichen Rechts - das Berliner Gesundungshaus der Künstler - Schlosseigentümer, dann die Stiftung. Der Kaufvertrag wurde am 28. April 1997 unterschrieben.

Jetzt hatte man die Verantwortung für eine Ruine, in der es nicht mal ordentliche Leitungen gab. Jugendliche aus dem Dorf hatten das Schloss besetzt. „Dann habe ich gesagt: Wir fangen an und machen sauber“, erzählt Ingrid v. Krosigk, die in dem Moment wusste, dass sie in dem Schloss ihre Bestimmung gefunden hat.

Man wohnte zunächst im Kreativhaus. Am Wochenende kamen Freunde aus Berlin zum Helfen. Nach mancher Putzaktion hat man auch im Schloss übernachtet. Ingrid v. Krosigk sagt: „Im Dorf dachten die Leute, wir sind verrückt. Wir gingen mit Kerzen durch die Zimmer und schliefen auf dem Boden. Aber wir hatten damals ja gar nichts hier.“

Im August 1997 wurde die Stiftung gegründet, der bis heute das Schloss gehört. „Wir hatten kein Geld, aber wir haben uns gesagt: Wir schaffen das“, so Ingrid v. Krosigk. Sie investierte die Hälfte ihrer Rente als Stiftungskapital. Weiteres Geld kam aus einem Kredit der Sparkasse. „Wir hatten keine Sicherheiten, aber das Kreditinstitut hat uns einfach vertraut, heute unvorstellbar“, sagt Heinrich D. Funke.

Durch die Stiftung, die immer gemeinnützig angelegt ist, gab es die Möglichkeit, Fördermittel zu erwerben. Als man das Vorhaben mit dem Schloss überall vorstellte - bei der Gemeinde, im Dorf, den Ministerien - lernten die Zugezogenen die neue Heimat kennen und lieben. Das Land gab in der 20-jährigen Geschichte etliche Fördermittel zum Schlossaufbau, aber auch für Personalkosten, Sachkosten oder Kulturprojekte. „Es hat damals immer wieder Menschen in führenden Positionen gegeben, die an uns geglaubt haben“, resümiert Ingrid v. Krosigk den Erfolg des Schlossaufbaus.

Es wurde Raum für Raum renoviert, durch ABM-Kräfte, die Künstler und ihre Freunde. Nikoline F. Kruse hatte hier als studierte Architektin eine wichtige Rolle inne. Ingrid v. Krosigk hat die Decke in der Guten Stube selbst abgeschliffen und arbeitete sich in das Baufach ein.

„Sicher hatten wir auch Schwierigkeiten mit manchen Leuten“, so Ingrid v. Krosigk. „Aber unsere Aufbruchsstimmung war so groß, dass wir es schafften.“ Auch Vorbehalte gegen ihre Person konnte sie spüren - Adel, westdeutsch, geschieden - aber es überwogen die vielen Menschen, die beim Projekt Schloss sofort dabei waren. Viel Zuspruch und Hilfe erlebte man im Dorf. Menschen aus der Region gehörten neben den Künstlern zu den Stiftern, ein Otto Paul von der Hohenerxlebener Feuerwehr, eine Gemeinderätin und ein Architekt. „Ingrid war halt auch keine Adelige, die mit Klunkern Anweisungen gab, sondern sie packte selbst mit an, damit hat sie bei den Menschen gepunktet“, sagt Heinrich D. Funke.

Seit 20 Jahren wird das Schloss nun nach und nach saniert, immer wieder Fördermittel eingeworben, die Künstler des Ensemble Theatrums, die ihr Geld eigentlich auf Tournee verdienen, sammeln bei Benefizauftritten für das Schloss. Jugendarbeit, etwa mit der Schauspielgruppe oder Ferienmalkursen, gehören zum Stiftungsbetrieb genauso wie Herberge und Restaurant.

Mittlerweile hat sich das Schloss als Kulturstätte einen Namen gemacht. Das Publikum für gehobene Kulturveranstaltungen wie Theater, Lesung oder Konzert ist überregional, kommt aber auch aus der Umgebung und dem Dorf. Die Ideen, die man damals in Berlin für das Schloss hatte, haben hier eine Heimat gefunden.

„Die Stiftung wird heute geachtet. Mit der Jugendarbeit, mit Kunst und Theater sind wir hier in der Region angekommen“, sagt Ingrid v. Krosigk.