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Solvay Die Rätsel der Sodaproduktion

Antworten zu Umwelt und Sicherheit der Sodaproduktion gibt die Leitung des Bernburger Solvay-Werks.

27.10.2019, 06:00

Bernburg l Das Sodawerk in Bernburg gehört zu Solvay, einem der dreißig größten Chemieunternehmen der Welt, mit einem Jahresumsatz von zehn Milliarden Euro, 26.500 Mitarbeitern und 125 Standorten. In ganz Deutschland gibt es nur drei Sodawerke. Die Solvay-Gruppe betreibt neben dem in Bernburg ein weiteres in Rheinberg. Nach einer Anfrage der Volksstimme beantwortet die Werksleitung bei einem Vor-Ort-Termin alle Fragen zum Umwelt- und Anwohnerschutz.

Ohne dass Produktionsabwasser in die Flüsse geht, wäre keine Sodaproduktion möglich. Das sagt die Werksleitung von Solvay in Bernburg ganz klar. Denn bei dem Herstellungsprozess mit Kalk, Kochsalz und Wasser entsteht neben Soda Calciumchlorid – ein ungefährliches Salz, das in zahlreichen Prozessen, zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie und der Meerwasseraquaristik verwendet wird - , für das es im Soda-prozess aber keine Verwendung gibt. Soda wird nach dem sogenannten Solvay-Verfahren hergestellt, das in allen drei deutschen Werken und weltweit am häufigsten angewandt wird, benannt nach seinem Erfinder Ernest Solvay, der 1880 die Sodaproduktion in Bernburg initiierte.

„Die großen Mengen Salz, die bei der Sodaproduktion übrig bleiben, sind tatsächlich eine Herausforderung“, sagt Dr. Benedikt Schlatt-Masuth, Leiter Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz bei Solvay in Bernburg. Aktuell gäbe es weltweit keine andere Möglichkeit, die großen Mengen an Abwasser umweltschonender zu behandeln und zu entsorgen. Zumindest keine, die sich wirtschaftlich darstellen lässt.

Am Ende bleibt gereinigtes Abwasser übrig. Neben diesen Salzchloriden enthält das Abwasser kleine Anteile an Stickstoffen. Hierfür gelten strenge Grenzwerte gemäß Wasserschutzrichtlinie. Das Bernburger Werk leitet sein gereinigtes Prozessabwasser in die Saale und hat dafür die entsprechende Genehmigung.

Der potentielle Gefahrstoff Ammoniak, der in Lösung flüssig angeliefert und im Prozess verwendet wird, könne laut Werksleitung zum größten Teil zurückgewonnen und wiederverwendet werden. Ein kleiner Teil, etwa ein Kilogramm bei 500 Kilogramm eingesetztem Ammoniak, gehe verloren, über die Luft und das Abwasser.

Bundesweit gibt es keine einheitlichen Regelungen, wie viel von welchen chemischen Stoffen die Sodaproduzenten in einen Fluss einleiten dürfen. Die Praktik ist Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, bis zur Wende gab es keine so hohen Anforderungen an Grenzwerte. Die heutigen Überwachungswerte werden von Behörden festgelegt und entsprechen den europäischen Vorgaben zum Stand der besten verfügbaren Technik.

Die gängige Technik, das Produktionsabwasser von einem Großteil der Feststoffe zu trennen, sind die großen weißen Absetzbecken, im Bernburger Beispiel die Kalkteiche bei Latdorf. Sie sind eine Art Filter. Das Produktionsabwasser wird aus dem Werk in die Kalkteiche gepumpt, das Wasser wird gefiltert und die Reststoffe und Kalk lagern sich ab. Dementsprechend wachsen die Berge von Jahr zu Jahr.

Das so gereinigte Abwasser wird von dort aus in die Saale geleitet. Sowohl im Werk, an den Becken und am Einlauf in die Saale wird kontinuierlich geprüft, ob die festgelegten Grenzwerte eingehalten werden.

Die Kalküberreste auf den Absetzbecken als Dünger nutzbar zu machen, habe noch nicht funktioniert, berichtet die Werksleitung von früheren Ansätzen. Bis heute finde sich auch hier noch keine Möglichkeit, die Ablagerungen, die erst schlammig sind und dann fest werden, sinnvoll zu verwerten. „Auch diese Situation ist nicht schön“, so Umweltleiter Benedikt Schlatt-Masuth. „Es laufen aber weiterhin Versuche zu dem Thema“. Die Solvay-Gruppe forscht in allen Bereichen, um neue umweltschonende Techniken zu entwickeln.

Auch die Becken an sich brauchen einige Sicherheitsvorkehrungen. Vor einigen Jahren waren im Winter Kalkreste durch den Wind weitergetragen worden und in Latdorf niedergeschlagen. Solche Probleme könnten bei bestimmten Witterungsverhältnissen etwa alle zehn Jahre vorkommen. Je trockener und kälter das Wetter, desto langsamer verdunstet das Wasser aus dem Kalkschlamm. „Hier sind wir auf die Gemeinde zugegangen und haben das Problem in Einwohnerversammlungen dargelegt“, berichtet Julia von Lehmden, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit.

Um solche Fälle zu verhindern, werden die Becken laut Werksleitung ständig feucht gehalten. Nicht mehr aktive Becken werden renaturiert. Pflanzen sollen sie stabilisieren, um Winderosion zu verhindern. Sie sind dann Lebensraum für seltene Pflanzen und bedrohte Insektenarten. Die Kalkteiche in Latdorf sind an den Seiten durch Bentonitwände – das sind Dichtwände - vom Rest des Erdreichs getrennt, damit sich Schadstoffe im Grundwasser nicht ausbreiten.

Bei Vorfällen wie in Latdorf gehe das Werk aktiv auf die Einwohner der Region zu. Das gehöre zur Firmenphilosophie. „Bei uns käme es nie in Frage, die Bürger nach solchen Ereignissen nicht aufzuklären“, sagt Julia von Lehmden.

Generell verfolge die gesamte Gruppe eine offene Informationspolitik. Die Werkszeitung „Ihr Nachbar“ erscheint zweimal im Jahr und informiert die Bernburger über Neuigkeiten. Ein Tag der offenen Tür findet regelmäßig statt.

Es sei wichtig, den Anwohnern durch Transparenz deutlich zu machen, dass von den chemischen Prozessen im Werk keine Gefahr ausgehe. „Wir verstehen uns als Teil der Stadt und der Nachbarschaft“, sagt Julia von Lehmden. Ernest Solvay sei für seine soziale Ader bekannt gewesen, das präge bis heute.

Die Solvay-Gruppe wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem für Maßnahmen zum Klimaschutz, unternehmerische Verantwortung oder soziale Absicherung der Mitarbeiter. Das Unternehmen betreibt eigene Forschungszentren und meldete 2018 über 200 neue Patente an.

Das Produktionsabwasser, das den Umweg über die Kalkteiche nimmt, bevor es in die Saale gelangt, kommt auch aus diesem Fluss. Auch hierfür hat das Bernburger Werk eine Genehmigung, um seinen großen Wasserbedarf zu decken.

Im Sommer, wenn für Private bei Niedrigwasser Wasserentnahmeverbote gelten, erhalte das Werk auf Antrag - wie andere Betriebe auch - eine Ausnahmegenehmigung, um weiter und leicht reduziert Wasser aus der Saale zu ziehen.

Was das eingeleitete Produktionsabwasser betrifft, gibt es keine Auflagen für Niedrigwasserstände. „Wir sind natürlich schon allein deshalb bestrebt, die Mengen so gering wie möglich zu halten, weil die Abwasserabgabe teuer ist“, so Dr. Benedikt Schlatt-Masuth. Die Saale führt in ihrer Breite und Tiefe so viel Wasser, dass sich die Anteile von Abwasser und Flusswasser in ungefährlicher Relation halten. Ein Fischsterben sei in Bernburg laut Werksleitung mindestens seit der Wende nicht vorgekommen.

Der Alltag im Werk sei von ständigen Prüfungen und Kontrollen geprägt. Das Solvay-Werk nimmt je nach Stoff täglich, wöchentlich oder monatlich Proben, analysiert sie im eigenen Labor und archiviert sie in einer zentralen Datenbank. Zu dieser sogenannten „Selbstüberwachung“ ist der Betrieb verpflichtet, würde es aber auch freiwillig so handhaben, heißt es.

Behörden fragen die genommenen Werte zusammengefasst für einen bestimmten Zeitraum ab. Zusätzlich kontrollieren die Ämter selbst und unangekündigt etwa sechs Mal im Jahr. „Sie stehen morgens vor der Tür und nehmen dann zum Beispiel Proben vom Abwasser“, erzählt Dr. Benedikt Schlatt-Masuth.

Innerhalb der verschiedenen Produktionsschritte sind kontinuierliche Messungen eingebaut, die das Abwasser zum Beispiel auf Leitfähigkeit oder pH-Wert prüfen. Anhand dieser Werte könne man schon geringfügige Abweichungen im Prozess ablesen und Störfaktoren ausfindig machen. „Daher haben wir im Zweifelsfall Zeit zu reagieren, denn es dürfen keine Gefahrstoffe in die Umwelt gelangen“, so Werksleiter Hugo Walravens.

Das Sodawerk Bernburg ist als „Störfall-Betrieb“ registriert, was besonders strenge Vorschriften mit sich bringt. Die Störfallverordnung gilt für Betriebe, die mit bestimmten Gefahrstoffen arbeiten. Sie müssen Notfallpläne parat halten, um Störungen sofort zu erkennen, zu unterbinden und die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Der TÜV nimmt die Anlagen regelmäßig ab. Im Notfall kann die Produktion gedrosselt werden, bis ein Teil repariert oder ersetzt ist. „Wir arbeiten jeden Tag und jede Stunde an der Sicherheit unseres Betriebs“, so der Werksleiter Hugo Walravens.

Alle 18 Monate wird das Werk komplett heruntergefahren, für Instandhaltung und Modernisierung. „Wir bekommen permanent Anweisungen von den Behörden, die Umweltbelastungen weiter zu reduzieren“, erklärt Werkleiter Hugo Walravens. Nachhaltigkeit und Innovation sind weitere Bausteine der Firmenphilosophie. „Auf dem Ist-Zustand dürfen und wollen wir uns nicht ausruhen“, sagt er, „sondern wir müssen und wollen uns kontinuierlich verbessern.“