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Staßfurter Bode Rohstoffe und Schadstoffe

Was darf die Ciech Soda in Staßfurt eigentlich in Bode und Grundwasser leiten? Die Genehmigung der Landesregierung gibt Antworten.

21.08.2019, 11:22

Staßfurt/Unseburg l Die Ciech Soda in Staßfurt darf verschiedene Arten von Abwasser in die Bode in Staßfurt und ins Grundwasser bei Unseburg leiten. Die Einleitgenehmigung geht auf eine Erlaubnis des Regierungspräsidiums Magdeburg 2003 zurück und wurde seitdem mehrmals verlängert.

Die aktuelle Einleitgenehmigung gilt vom 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2021. Sie liegt der „Volksstimme“ vor. Eingeleitet werden darf mechanisch behandeltes Abwasser aus der Sodaherstellung über die Absetzanlage bei Unseburg, sogenannter Fischteich, ins Grundwasser. Bei Störungen dort kann das auch über die alte Halde in Staßfurt nahe des Sodawerks geschehen. Außerdem darf Abwasser aus der Sodaherstellung und aus indirekten Kühlsystemen in die Staßfurter Bode geleitet werden. „Das Abwasser aus der Sodaherstellung besteht im Wesentlichen aus dem Ablauf der Ammoniakdestillation (Endlauge), der Abschlämmung der Solereinigung und dem Abwasser aus der Kalkofengaswäsche“ (*im Kalkofen wird zur Sodaherstellung Kalk gebrannt), heißt es. Es fließt zum Beispiel bei Unseburg Phosphor und Stickstoff ins Grundwasser, in Staßfurt Blei und Quecksilber in die Bode.

Für alle Schadstoffe gibt es Überwachungswerte, die eingehalten werden müssen. Zum einen kontrolliert die Obere Wasserbehörde beim Landesverwaltungsamt mehrfach im Jahr selbst. Der Gewässerkundliche Landesdienst prüft oberhalb der Liethemündung in Staßfurt, ob sich die Temperatur des Bodewassers nicht zu sehr erhöht wird.

Beim Überprüfen von Grenzwerten ermöglicht das Gesetz, dass Überwachungswerte nicht immer eingehalten werden müssen. Die bundesweite „Verordnung über Anforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer“ Paragraph 6 regelt, dass „ein Überwachungswert, welcher nach dem Ergebnis einer Überprüfung im Rahmen der behördlichen Überwachung nicht eingehalten ist, dennoch als eingehalten gilt, wenn die Ergebnisse dieser und der vier vorausgegangenen behördlichen Überprüfungen in vier Fällen den jeweils maßgebenden Wert nicht überschreiten und kein Ergebnis den Wert um mehr als 100 Prozent übersteigt.“ Im Fach ist diese Regelung sehr umstritten, da die Industrie bereits im Vorfeld damit spekuliert, Werte gar nicht erst einzuhalten. Gedacht ist die Regelung aber eigentlich, um im Nachhinein Schwankungen einzuräumen.

Zum stark chloridhaltigen, also salzhaltigen Abwasser aus dem Kanal Salzrinne schreibt die Behörde: „Da die Einhaltung der festgelegten Chloridfracht im Rahmen der behördlichen Überwachung nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand möglich wäre, wurde der Nachweis als Betreiberpflicht im Rahmen der Selbstüberwachung festgelegt.“ Die hohe Chloridfracht stammt von Rückführwasser aus Unseburg, Salzbrunnenwasser und Wasser von der Kalkofengaswäsche. Das Sodawerk misst die Werte selbst und übermittelt sie der Behörde. Auch mit den Werten für Ammonium-Stickstoff aus der Ammoniakdestillation wird so verfahren.

Grob heißt es im Wasserhaushaltsgesetz nur, dass „Menge und Schädlichkeit des anfallenden Abwassers so gering gehalten werden, wie dies nach dem Stand der Technik möglich ist.“ Für Abwasser aus der Sodaherstellung hat die Bundesregierung bisher keine Verordnung herausgegeben. Daher heißt es in der Einleitgenehmigung: Weil für die Kaliindustrie kein einheitlicher Stand der Technik festgelegt ist, muss die Behörde Überwachungswerte teilweise im Einzelfall bestimmen. Auch beim Abwasser aus der Ammoniakdestillation wird so argumentiert. Es heißt auch: „Technisch Unmögliches oder in der Praxis nicht Anwendbares oder wirtschaftlich Unverhältnismäßiges kann nicht verlangt werden.“ Dann beruft man sich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgericht von 1995, das besagt: „Der Überwachungswert muss so festgelegt werden, dass sichergestellt ist, dass dieser auch eingehalten werden kann.“

Bei der Absetzanlage Unseburg ist das Grundwasser „in einem chemisch schlechten Zustand.“ Grund sind Wertüberschreitungen bei Nitrat in der „Triaslandschaft Börde“ und bei Bentazon in der „Bördeaue“. Die Landwirtschaft wird als Verursacher angegeben. Der chemische Zustand könnte sich bezüglich Chlorid und Ammonium weiter verschlechtern. Wegen der besonderen geologischen Formation bei der Absetzanlage und der Wasserhaltung im Fischteich, die die Ausbreitung des salzhaltigen Abwassers verhindern soll, kann das Grundwasser beeinträchtigt werden, schreibt die Behörde, – „jedoch allenfalls ... lokal begrenzt“. Auch wenn dort in Zukunft kein Abwasser mehr eingeleitet wird, gelangt weiterhin Chlorid und Ammonium aus den abgelagerten Feststoffen ins Grundwasser.

Eine Art Fazit im Dokument: „Die Einleitung in den sogenannten Fischteich und fortführend in die Bode stellt die derzeit aus tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht einzig verhältnismäßige und zur Verfügung stehende Beseitigungsmöglichkeit dar. Ohne die Abwassereinleitung in die Bode kann weder der Produktionsbetrieb im Sodawerk Staßfurt aufrechterhalten werden.“ Begründet wird das sofortige Erteilen der Erlaubnis 2018 mit der Versorgung mit Rohstoffen durch das Sodawerk anderer Industriezweige und deren hohen Anteil an der Bruttowertschöpfung, der Versorgung des Marktes mit Rohstoffen als Gemeinwohlziel, der überregionalen Bedeutung des Sodawerks und 400 Arbeitsplätzen.

Nach der Havarie im November 2018, wo fünfprozentige Ammoniaklösung in die Bode floss, wurde die Erweiterung der Notstromversorgung angekündigt. „Die Einbindung des gesamten Sodawerkes in die Notstromversorgung wurde überprüft, dies ist aber aufgrund des hohen Energiebedarfs nicht möglich", teilt die Sprecherin des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt Denise Vopel mit. Stattdessen hat das Sodawerk sicherheitstechnisch relevante Pumpen an die Notstromversorgung angeschlossen, damit Flüssigkeiten bei Havarien weiter abgepumpt werden können.

Um zu verhindern, dass schädliche Flüssigkeiten ins Kanalsystem übertreten, soll „am Tor 4 eine Staukante und ein zusätzliches Auffangsystem mit integrierter Messtechnik und Abgrenzung zum innerbetrieblichen Kanalsystem" errichtet werden. Dazu ist die Bauplanung laut Landesverwaltungsamt abgeschlossen. Bauleistungen werden derzeit ausgeschrieben. Die Behörde kontrolliere die Umsetzung der angekündigten Maßnahmen „im Rahmen der regelmäßigen und anlassbezogenen Überwachungen".

Außerdem haben die Mitarbeiter des Sodawerkes und Kraftwerkes ein „Anti-Havarietraining durchlaufen, um Anfahr- und Abfahrprozesse bei Notfallmaßnahmen zu schulen", so die Sprecherin.

Um etwas gegen das „schlechte ökologische Potenzial" und den schlechten chemischen Zustand der Bode zu tun, gibt es keine Ansätze. Das Landesverwaltungsamt macht in der Einleitgenehmigung deutlich, dass ihm keine Methoden zur Behandlung des Soda-Abwassers bekannt sind, die „mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand" Chlorid oder Sulfate verringern könnten.

Allerdings recherchiert die Landesregierung auch nicht zum neuesten Stand der Technik bei der Abwasseraufbereitung. Diese Aufgabe gibt sie dem Unternehmen: „Die Ciech Soda Deutschland hat nach weiteren Möglichkeiten der Reduzierung des Salzeintrages in die Gewässer zu suchen. Ergeben sich wirtschaftlich zumutbare technische Maßnahmen zur Minimierung beziehungsweise Verwertung oder alternativen Entsorgung der salzhaltigen Abwässer, ist dies der zuständigen Wasserbehörde unaufgefordert mitzuteilen", heißt es.

Eigentlich sollte eine Pipeline, die von der Absetzanlage Unseburg zur Elbe bei Schönebeck führt, die Bode und Saale bald von Chlorid und stickstoffhaltigen Schadstoffen entlasten. „Denn es ist auf der Grundlage der heutigen Erkenntnisse möglich, dass die für das ‚schlechte‘ ökologische Potenzial der Bode wesentlich mitverantwortliche Einleitung von salzhaltigen Produktionsabwässern beendet wird", heißt es in der Einleitgenehmigung.

In ganz Deutschland müsste die öffentliche Hand den Zustand der Flüsse und Seen schon längt nach neuen EU-Gesetzen (Wasserrahmenrichtlinie) wesentlich verbessert haben. Weil die Frist für einen guten Gewässerzustand bundesweit aber bisher nur bei sieben Prozent aller Gewässer erreicht wurde, hat die Bundesregierung die Frist auf 2027 verschoben. Aus diesem Grund verschiebt das Land Sachsen-Anhalt das Erreichen der Richtlinie und eines guten Zustands der Bode auf 2027 und fordert erst ab dann vom Sodawerk einer Pipeline zur Elbe. Auch in Unseburg soll sich das geschädigte Grundwasser erst ab 2027 erholen.

Zur Verlängerung der aktuellen Einleitgenehmigung bis 2021 heißt es: „Es ist jedoch bereits jetzt absehbar, dass auf Grund der langfristig geplanten Sodaherstellung am Standort Staßfurt auch darüber hinaus eine Abwassereinleitung erforderlich sein wird." Dafür muss die Ciech Soda einen „wasserwirtschaftlichen Fachbeitrag" als Konzept für die Entwicklung der Bode einreichen.

Wo, wie viel und was eingeleitet werden darf:

1. In Unseburg über die industrielle Absetzanlage, den sogenannten Fischteich, ins Grundwasser:

Mechanisch behandeltes Abwasser (Endlauge und Abschlämmung Solereinigung) von bis zu 13.070 m³ pro Tag und bis zu 4.730.000 m³ pro Jahr.

2. In Staßfurt über das Becken 4 der alten Rückstandshalde am Sodawerk ins Grundwasser:

Bei Störungen an der Endlaugenleitung zur Absetzanlage Unseburg mechanisch behandeltes Abwasser (Endlauge und Abschlämmung Solereinigung) von bis zu 54.328 m³ pro Jahr.

3. In Staßfurt über Kanäle (Liebesbrücke, Schöner Blick, Salzrinne) in die Bode:

Abwasser aus der Kalkofengaswäsche von bis zu 6.250 m³ pro Tag und bis zu 2.095.980 m³ pro Jahr.

3. In Staßfurt über diese Kanäle in die Bode:

Abwasser aus Kühlsystemen zur indirekten Kühlung von industriellen Prozessen von bis zu 52.000 m³ am Tag und bis zu 13.603.960 m³ im Jahr (davon aus der Frischwasserkühlung im Ablauf bis zu 13.253.980 m³ im Jahr und aus der Abflutung von Kühlkreisläufen bis zu 650.000 m³ im Jahr). 

Welche Schadstoffe eingeleitet werden dürfen (es gibt jeweils Überwachungswerte, die nicht überschritten werden dürfen):

1. Am Ablauf der Ammoniakdestillationsanlage:

Ammonium-Stickstoff: 120 mg/l

2. Am Ablauf der Absetzanlage Unseburg:

Abfiltrierbare Stoffe (AfS): 100 mg/l

Chemischer Sauerstoffbedarf (CSB): 60 mg/l

Stickstoff, gesamt, als Summe von Ammonium-, Nitrit- und Nitratstickstoff (Nges): 64 mg/l 

Phosphor, gesamt (Pges): 0,20 mg/l

Giftigkeit gegenüber Fischeiern (GEI): 32

3. Am Ablauf der Kalkofengaswäsche:

Abfiltrierbare Stoffe (AfS): 200 mg/l

Chemischer Sauerstoffbedarf (CSB): 80 mg/l

Stickstoff, gesamt, als Summe von Ammonium-, Nitrit- und Nitratstickstoff (Nges): 80 mg/l

Phosphor, gesamt (Pges): 0,15 mg/l

Adsorbierbare organisch gebundene Halogene (AOX): 0,10 mg/l

Blei (Pb): 140 μg/l

Quecksilber (Hg): 1,0 μg/l

Giftigkeit gegenüber Fischeiern (GEI): 2 

Beim Abwasser für die Kanäle in die Bode in Staßfurt gilt:

pH-Wert-Bereich: 6,0 bis 9,0

Maximale Temperatur: 35 Grad

Im Kanal an der Salzrinne darf das Abwasser außerdem maximal folgende Werte haben:

Chlorid: 95 Gramm pro Liter und 2473 Tonnen pro Tag

Für das Abwasser in den Kanälen in Staßfurt gilt: 

Maximale Temperatur Sommer (April bis November): 25 Grad

Max. Temperatur Winter: 10 Grad

Temperaturerhöhung: 3,0 Kelvin