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Strafverfahren Trinkgeld von Behinderten erpresst?

Monatelang soll eine Staßfurterin von ihrem Kumpel Geld erpresst haben. Der Kellner im Tiergarten-Café gilt als geistig beeinträchtigt.

17.10.2019, 05:00

Staßfurt l Alles hatte ganz harmlos angefangen. Sie hatten sich im Tiergarten-Café kennengelernt. Die junge Frau war dort zu Gast, er bediente sie als Kellner. Beide wohnten in Staßfurt. Sie tauschten Nummern aus und trafen sich eine Zeit lang. Es wurde nicht ganz eine feste Beziehung, aber eine Affäre. Man führte sich gegenseitig zum Essen aus, unternahm viel. Er war oft bei ihr zuhause, aß und duschte mit. Eine Beziehung wollte sie nie, das muss ihn mit der Zeit sehr frustriert haben.

Dabei ist er kein gewöhnlicher junger Mann, sondern Mitarbeiter der Lebenshilfe in Staßfurt. Männer und Frauen mit seelischer, körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung arbeiten im Tiergarten-Café als Kellner und Küchenhilfen. Der 22-Jährige, um den es hier geht, hat geminderte geistige Fähigkeiten und soziale Schwierigkeiten.

In dieser Woche sahen sich die beiden vor dem Amtsgericht Aschersleben wieder. Denn Ende 2018 ist die Beziehung gekippt. Im Mai dieses Jahres ist er zur Polizei gegangen. „Ich musste jeden Tag mindestens 20 Euro in ihren Briefkasten in Staßfurt-Nord werfen“, erklärte der 22-Jährige vor Gericht. Und das an jedem Öffnungstag des Tiergarten-Cafés, dienstags bis sonntags. Von Oktober 2018 bis Mai 2019 ist der junge Mann laut eigener Aussage diesen Forderungen der 32-Jährigen nachgekommen.

Weil er nur 50 Euro pro Woche von seiner gerichtlichen Betreuerin, die sein Geld verwaltet, bekommt, begann er das Team vom Tiergarten-Café zu bestehlen. Das Trinkgeld, das die Kellner bekommen, gehört eigentlich in eine Gemeinschaftskasse, für Ausflüge und Unternehmungen. Er nahm sein Trinkgeld aber immer mit, verpackte es heimlich beim Umziehen in Plastikbeutel und brachte es zu ihrem Briefkasten. Irgendwann stahl er auch Geld aus der Kasse und ließ Lebensmittel mitgehen.

„Sie drohte mir, ich werde ohne Arme und Beine wieder aufwachen“, sagte der junge Mann aus. Sie würde die Hells Angels zu ihm schicken, die ihm „die Bude eintreten“, und dafür sorgen, dass er seinen Job verliere. Einmal war in seinem Hausflur randaliert worden. Immer wieder seien Anrufe und Nachrichten mit Drohungen gekommen.

Die Aussagen seiner Freundin habe er stets für wahr gehalten, erklärte er vor Gericht, auch ihre angeblichen Kontakte zu den Hells Angels. Das Konto des jungen Mannes leerte sich mit der Zeit. Das bestätigte seine Betreuerin, die irgendwann herauskriegte, was los war, und ihn zur Polizei begleitete. Sie stuft ihn als Person mit geminderter Intelligenz und sozialen Schwierigkeiten ein.

Bei mindestens 20 Euro pro Tag von Ende Oktober bis Mitte Mai sollen laut Anzeige der Polizei 4690 Euro an die junge Frau geflossen sein. Sie räumt vor Gericht ein, dass er ihr insgesamt maximal 500 bis 600 Euro gebracht habe. „Ich war vielleicht mal wütend und habe Geld gefordert, aber ihn nie bedroht.“ Er dürfe nicht vergessen, dass er lange Zeit bei ihr gelebt und sie viel bezahlt habe.

So stellen der junge Mann, seine Betreuerin und die ehemalige Freundin die Geschichte dar. Der Prozess wird Anfang November fortgesetzt.