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Tafel Helfen auf eigene Gefahr

Lebensmittel auszuliefern ist für die Staßfurter Tafel undenkbar. Dazu fehlt es den wenigen Freiwilligen an allem.

05.04.2020, 23:01

Staßfurt l In der ersten Corona-Woche fiel das Mittagessen bei der Staßfurter Tafel weg. In der zweiten Woche wurden die Ein-Euro-Jobber abgezogen und die Ausgabe von Lebensmittel-Beuteln an Bedürftige musste ausfallen. Jetzt in der dritten Woche versucht eine kleine Gruppe der Freiwilligen trotzdem weiterzumachen – auf eigene Gefahr.

„Selbst wenn die Supermärkte letzte Woche etwas gegeben hätten, ich hätte das doch ohne Leute gar nicht verteilen können“, sagt Petra Schulze. Die Vize-Chefin der Tafel steht am Donnerstagvormittag vor dem Gebäude an der Bodebrücke und ermahnt die Kunden, Abstand voneinander zu halten. Die acht Ein-Euro-Jobber seien abzogen worden, weil diese oft Vorerkrankungen haben und älter sind, also selbst zur Risikogruppe gehören. Das macht die Arbeit bei der Tafel unmöglich.

Von 9.30 Uhr bis 11 Uhr werden am Donnerstag erstmalig wieder Beutel mit Lebensmitteln gefüllt. Die Traube, die sich schon vor der Öffnung gebildet hatte, versuchte Petra Schulze Corona-gerecht zu ordnen. „Na klar brauchen sie ihre Lebensmittel für zuhause, ich kenne doch meine Leute!“, sagt Petra Schulze. „Und das Mittagessen fehlt ihnen auch, um mal mit jemandem reden zu können.“

Erst wenn ein Kunde aus der Tür heraus ist, darf der nächste mit seinem selbst mitgebrachten Beutel ins Gebäude. Drinnen steht Manuela Petrat mit Mundschutz und Handschuhen als Ordner. „Es muss doch jemand weitermachen“, sagt sie. Insgesamt haben sich jetzt vier Frauen von den sonst 20 Helferinnen zusammengetan, um wenigstens noch ein bisschen was für die Bedürftigen zu tun. Alle anderen gehören zur Risikogruppe und haben Angst vor einer Ansteckung.

Am Ende des Gangs steht Nicole Müller an einem Stehtisch hinter einer provisorischen Theke. Auch die Tafel muss Abstandsregeln einhalten. Sie führt Buch über die Ausgabe, nimmt die Beutel entgegen und geht damit in die Küche. „Es ist weniger als sonst“, sagt sie traurig, wenn sie aus den Kisten Obst, Gemüse, Brot, Joghurt, Saft und Butter nimmt.

René aus Staßfurt freut sich und nimmt seinen gefüllten Beutel entgegen. „Ich finde die Sache ein bisschen übertrieben“, sagt er über die Corona-Krise. „Aber Dinge wie Abstand und Desinfizieren sind in Ordnung, das muss schon sein.“ Der junge Mann erzählt, dass er mit dem Kontaktverbot ganz gut zurecht kommt und viel in seinem Garten macht, wenn ihm langweilig wird.

Für die Lebensmittel in seinem Beutel hat das Tafel-Team einen Tag zuvor einige Supermärkten in Staßfurt angefahren. „Die Nettos, schwarz und rot, haben etwas gegeben, Lidl und Bäcker Winkel in Neundorf“, berichtet Petra Schulze. „Nein, Nudeln oder Reis haben wir natürlich nicht bekommen“, lacht sie.

Für die nächste Woche will sie bei Edeka in Staßfurt und Güsten nachfragen. Abgeholt werden die übrigen Lebensmittel jetzt nicht mehr jeden Tag wie vor der Krise, sondern nur noch zweimal die Woche.

„Wir sammeln jetzt immer an einen Tag ein und verteilen am nächsten“, sagt sie. So sei die Arbeit auch mit nur vier Helferinnen zu schaffen.

„Wir machen die Lebensmittelausgabe ab dieser Woche wieder dienstags und donnerstags je 9.30 bis 11 Uhr“, sagt Petra Schulze. Und einen Lieferdienst zu den Bedürftigen nach Hause, wie es andere Tafeln aktuell anbieten? „Wir soll ich das machen? Ich habe weder die Beutel, noch die Kisten dafür und das Auto gibt auch bald den Geist auf“, sagt Petra Schulze.

Das bestätigt der Fahrer der Tafel, der seinen Job glücklicherweise noch weitermachen kann: „Gestern wollte er fast nicht anspringen. Es ist irgendwas mit der Batterie“, sagt Enrico Scholl. Der weiße Transporter hat 300 000 Kilometer runter und ist 14 Jahre alt. „Es wird allerhöchste Zeit für einen Neuen.“ Die Karosserie rostet, am Sitz fehlt schon der Bezug. Einen neuen Transporter kann sich der Tafel-Verein allerdings nicht leisten.

Im Büro der Tafel sitzt Steffen Globig. Nach einer Versammlung des neuen Tafel-Vereins, in dem neuerdings die freiwilligen Helferinnen organisiert sind, wurde er kürzlich zum Vorsitzenden des Vereins gewählt und organisiert damit die Geschicke weiter.

„Jetzt haben die uns doch tatsächlich beschissen“, ärgert er sich über ein Paket. Er hatte im Internet Desinfektionsmittel nachbestellt, weil dies knapp ist bei der Tafel. Was aber per Post kam, war ein desinfizierendes Raumspray. Auch der Tafel-Verband kann nicht weiterhelfen. Und weil die Tafel keine öffentliche Stelle ist, ist auch eine Unterstützung durch die Behörden nicht sicher.

Beim Lesen seiner E-Mails ärgert er sich noch mehr. Und zwar über eine Nachfrage der Stadt nach dem Zuschuss. Der Verein hatte, um die Tafel halten zu können, für Januar bis März Geld von der Stadt bekommen. Denn die Einnahmen aus vergünstigtem Mittagessen und Lebensmittelbeuteln waren zu gering, um die Betriebskosten für Küche, Kühlung, Auto und Co. zahlen zu können.

„Das ist so unsensibel, jetzt nach unseren Einnahmen zu fragen. Natürlich haben wir seit Corona kaum noch Einnahmen“, greift sich Steffen Globig an den Kopf. Er wird von der Stadt aufgefordert, Einnahmen und Ausgaben der Tafel offenzulegen.

Die finanzielle Lage der Tafel habe sich zwar gebessert, aber das könne man nicht auch für die Krisenzeit ab Mitte März voraussetzen und dann vielleicht noch den Zuschuss kürzen. Zumal die Stadt selbst die Tafel informiert hatte, dass der Mittagsbetrieb eingestellt werden muss.

Um 10.30 Uhr ist der Ansturm am Donnerstag schon vorbei. Petra Schulze stellt noch eine Kiste mit Bananen und Gurken vor die Tür, zum Mitnehmen für die Passanten.