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Elbpegel Ohne Lemme läuft in Bittkau nichts

Seit wenigen Tagen erinnern Markierungen am Trafohäuschen von Bittkau an Fluten aus jüngerer Zeit.

Von Rudi-Michael Wienecke 18.08.2015, 01:01

Bittkau l „Glauben sie mir, wenn der nicht da wäre, liefe hier nichts mehr“, meint Hans-Werner Vogt eher beiläufig über den Zaun hinweg, eher er sich wieder in den anderen Teil seines Gartens zurückzieht. Das Lob gebührt Peter Lemme vom Bittkauer Heimat- und Schifferverein. Dieser bedankt sich mit einem zurückhaltenden Lächeln für die Anerkennung und zeigt auf eine Markierung auf dem Gehweg vor Vogts Grundstück. „Bis hier kam 2013 das Hochwasser“. Mehrere Metallschilder dieser Art verewigte der 71-Jährige in Bittkau. Sie erinnern an die jüngste Flut.

Dank Lemme kann man nun aber auch am Trafohaus die Pegelstände verschiedener Hochwasser der jüngeren Zeit miteinander vergleichen. Stilgerecht, auf einer Schiffsplanke, sind die Plaketten angebracht. „Solch alte Planke hier zu finden ist keine Kunst“, meint Lemme. 90 Prozent der Bittkauer waren früher Schiffer. Auf vielen Grundstücke finde man also noch solche Relikte.

Am höchsten stand das Wasser 1941 im Dorf. Im dritten Kriegswinter brach der Deich. „Die Eisschollen kamen in der Deichstraße bis in die Wohnzimmer“, weiß Helga Zersch aus Erzählungen. Noch heute dokumentieren Fotos, dass Gebäude vom Eis zerdrückt wurden. „Es muss schlimm gewesen sein“, so die Vorsitzende des Bittkauer Heimat- und Schiffervereins am Elbekilometer 372. „Die Frauen waren ja mit den Kindern allein zu Hause gewesen, die Männer waren an der Front.“ Auch Helga Zersch bedankt sich bei Lemme, der nun dafür gesorgt hat, dass ein Plastikschild anschaulich an die damalige Naturgewalt erinnert.

Brenzlig wurde es dann noch einmal 2013 für die Bittkauer. Der Pegel stand bei 7,83 Meter, auch in dem Sommer lief das Wasser bis in das Dorf hinein. Lemme betrachtet es aus heutiger Sicht nüchtern: Es sei davon auszugehen, dass der Deichbruch gegenüber von Bittkau, bei Fischbeck, auf westelbischer Seite schlimmeres verhindert habe. Auch 2002 profitierte man höchstwahrscheinlich an der unteren Elbe von den Deichbrüchen weiter oberhalb bei Dresden.

Festgehalten sind weiterhin die Pegelstände von 2011 und 2006. „Das war aber nichts dramatisches. In den Jahren gab es keine größeren Schäden“, winkt Lemme ab. In Bittkau lebe man nun mal an der Elbe und damit mit den Hochwassern. Es vergehe kaum ein Jahr, in dem der Fluss, ob im Frühjahr oder im Herbst, nicht am Dorfrand „kratzt“. „Vor diesen normalen Hochwassern haben wir keine Angst“, so Lemme ruhig. Mit Sandsäcken werde gesichert, was zu sichern ist. Jeder im Dorf packe mit an. Die Alten schippen, die Jungen schleppen. Die Jungen lernen von den Alten, wie und wo die Säcke zu stapeln sind. Lemme gehört zu den Alten, gibt in der Wasserwehr der Einheitsgemeinde Tangerhütte seine Erfahrungen weiter.

Helga Zersch lebt seit 71 Jahren in Bittkau. Gern erinnert sie sich an die Hochwasser in ihrer Kindheit. Während Eltern und Großeltern das Dorf schützten, schipperten die Jungen und Mädchen in Schlachtemollen auf dem Wasser, spielten Schiffer.

Aktuell ist die Elbe von Bittkau aus nicht zu sehen. Die lange Trockenheit ließ den Pegelstand teilweise bis auf 60 Zentimeter sinken. An Schifffahrt auf dem Fluss ist vorläufig nicht zu denken. „Da können sie durchlaufen“, so Lemme. Am Ufer der Elbe zeigt er auf große Steine, die eigentlich den Fluss unter Wasser im Zaum halten sollen und zwischen denen nun bereits das Grün zu sprießen beginnt. „Diese Brocken habe ich das letzte Mal gesehen als ich Kind war“, macht er klar, dass dieses Niedrigwasser alles andere als normal ist. Damals gab die Elbe übrigens ihre gefährlichen Geheimnisse preis. „Überall fanden wir Waffen und Munition“, erinnert sich der 71-Jährige.

Fotos aus damaliger Zeit gibt es neben vielen weiteren Unterlagen und alten Utensilien aus Landwirtschaft und Schifffahrt übrigens zur Genüge in den Räumen des Bittkauer Heimat- und Schifferverein. Auch hier ist Peter Lemme die gute Seele, bedankt sich Helga Zersch noch einmal. Er archiviert, sammelt und räumt die Vitrinen ein. Hans-Werner Vogt scheint Recht zu haben: Ohne Peter Lemme läuft nichts mehr im Dorf.