1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Als bunte Gesellschaft sichtbar sein

Friedensdekade Als bunte Gesellschaft sichtbar sein

Unter dem Motto "Grenz­erfahrung" steht die Friedensdekade. In Stendal organisieren Kirche und Hochschule verschiedene Veranstaltungen.

Von Nora Knappe 05.11.2015, 00:01

Stendal l „Grenzerfahrung“ – treffender hätte das Motto der diesjährigen Ökumenischen Friedensdekade angesichts der Flüchtlingsströme wohl nicht sein können. Grenz­erfahrungen machen diese Menschen allemal – nicht nur rein räumlich gesehen, sondern auch körperlich und seelisch. Und auch uns Hiesige bringt diese neue Situation vielleicht an Grenzen. Die Friedensdekade – eine bundesweit von kirchlichen Gemeinden und anderen Gruppen getragene Initiative – bietet Möglichkeiten, sich mit solcherlei Grenzerfahrungen auseinanderzusetzen und Fremden zu begegnen.

In Stendal gibt es dazu vom 9. bis 18. November verschiedene Veranstaltungen (siehe Infokasten unten) – angefangen vom Pogromgedenkmarsch über einen kulinarisch bereichernden Begegnungsabend bis hin zu einem Gesprächsabend über Fluchtursachen. Ernstes und Lebenslustiges wechseln sich ab. Zum Nachdenken anregen lassen kann man sich auf beiderlei Weise.

Das Pogromgedenken am 9. November bietet aus Sicht der Stendaler Friedensdekade-Organisatoren einen guten Einstieg in das Thema Grenzerfahrung. „Hier hören die Teilnehmer an verschiedenen Orten und Adressen in Stendal, wie Ausgrenzung in den 30er und 40er Jahren passierte und funktionierte und wie nah es am Heute ist“, sagt Pfarrerin Daniela Schröder. Sie wird aus amtlichen Schreiben und Briefen vorlesen, um zu verdeutlichen, wie mit den jüdischen Bewohnern Stendals umgegangen wurde. „Das Gehörte soll aufrütteln und legt die Frage nahe: Ist man nicht immer in Gefahr auszugrenzen?“

Grenzerfahrungen sind im Übrigen auch im Bewusstsein des Friedensdekaden-Teams verankert. Für Daniela Schröder war „eigentlich die ganze DDR-Zeit eine Grenzerfahrung. Man konnte nicht raus und bestimmte Bildungswege nicht einschlagen, gerade als Christ.“ Sich auf andere Gepflogenheiten und auf Befremdliches einzustellen, dabei hätten ihr zum Beispiel eine Lebensphase in Schottland und eine Interrail-Reise nach Marokko geholfen. Die Kunst sei, sich nicht zwangsläufig dem Anderen anzupassen, sondern „als Andersseiende zusammenzuleben“.

Eine sie noch heute bewegende Grenzerfahrung hat Gemeindepädagogin Rabea Reinhold gut in Erinnerung. Während ihrer Lehrzeit war sie in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz. Als wenn dieser Besuch nicht erschütternd genug gewesen wäre, wurden sie und ihre deutschen Begleiter kurz darauf auf der Straße als Nazis beschimpft. „Das hat mich total mitgenommen, ich war 18, was hatte ich denn mit der Nazi-Zeit zu tun?“

Um vermeintliche Grenzen oder Berührungsängste zu überwinden, gibt es im Rahmen der Friedensdekade in Stendal zum Beispiel am 13. November eine interreligiöse Andacht, bei der gemeinsam gebetet wird, „aber jeder in der Weise, die seine ist“, so Schröder. Das Ganze passiere vor der Marienkirche, „weil wir als verschieden Weltanschauende, als bunte Gesellschaft sichtbar sein wollen.“

Dass bei einzelnen Programmpunkten auch Zugewanderte mitmachen, ist für die Organisatoren selbstverständlich. Schließlich mache sich die Stendaler Ökumene nicht erst seit heute für die Integration von und die Zusammenarbeit mit Migranten stark – in unterschiedlicher Intensität. Als Beispiele nennt Daniela Schröder die Teestube Maranata, die Interkulturelle Woche, den Interkulturellen Frauentreff christlicher und islamischer Frauen, einen Treff für Russlanddeutsche oder auch – ganz neu – das „Erzählcafé“ immer dienstags im Domstift als lockeres Beisammensein mit Kennenlern- und Lerneffekt.

All diese Angebote haben dasselbe Ziel, sagt Daniela Schröder: „Dass man Nachbarn wird, dass man sich kennt und sich hilft. Aber ganz wichtig dabei: Das alles lebt nur durch die Menschen, die es tragen.“