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Hospiz Den letzten Weg in Begleitung gehen

Am Freitag entscheidet der Bundestag über eine Neuregelung der Sterbehilfe. Hospize sagen: Hilfe zum Sterben darf es nicht geben.

Von Nora Knappe 06.11.2015, 00:01

Stendal l Die Position des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands ist definiert: Die geschäftsmäßige, organisierte Förderung der Selbsttötung muss strafbar sein und die Werbung dafür verboten. „Natürlich gibt es immer Beispiele, die einen ins Grübeln kommen lassen“, sagt Ulrich Paulsen, Leiter des Evangelischen Hospizes Stendal und Vorsitzender des Hospiz- und Palliativverbands Sachsen-Anhalt. „Aber mir ist wichtig, nicht einem gesellschaftlichen Trend nachzugeben, der da behauptet: Autonomie und Selbstbestimmung sind alles. Da habe ich große Sorge, dass der Wert des Lebens erniedrigt wird. Ich halte es für gefährlich, jedes Leben nur danach zu bewerten, was dieser Mensch leistet.“

Der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen auf Wunsch des Patienten beruhe zu einem wesentlichen Teil auf dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, „diesen gewissen Freiraum muss es geben“, sagt Paulsen. Gleichwohl dürfe man die Beihilfe zur Selbsttötung nicht als ärztliche Aufgabe sehen. „Es würde die Ärzte unter Druck setzen.“

Mit der Möglichkeit zur Beihilfe zum Suizid könnten Menschen zudem in Krisensituationen leichtfertig zur Selbsttötung getrieben werden. „Phasen von Leid, Trauer, Schmerz gehören zum Leben dazu und können durchgestanden werden.“

Die Ablehnung der Sterbehilfe bedeute jedoch nicht den Zwang zum Weiterleben, betont er. Die willentliche Entscheidung eines Patienten, nicht mehr essen und trinken zu wollen, werde von Hospiz-Pflegekräften respektiert. „Wir haben schon öfter Menschen erlebt, die auf diese Weise ihren Weg zu Ende gegangen sind, mit medizinischer, schmerzlindernder Begleitung.“

Umfragen, wonach 80 Prozent der Deutschen die aktive Sterbehilfe befürworten, betrachtet Ulrich Paulsen skeptisch: „Klar, wenn ich kerngesund bin, kann ich mir nicht vorstellen, was ich fähig bin zu ertragen. Viele wissen zudem gar nicht, was bei einer schweren Erkrankung an Linderndem und Unterstützendem möglich ist.“

Mit dem Sterben müsse niemand allein bleiben, das müsse keiner mit sich allein ausmachen. „Da kann jemand Erfahrenes von außen viel helfen und auch den Angehörigen eine Last nehmen“, sagt Paulsen. Im Hospiz, dessen Arbeit vor allem von geschulten Ehrenamtlichen im ambulanten Dienst getragen wird, spricht man von Sterbebegleitung. Ulrich Paulsen erklärt, was das heißt: „Vor allem, dass 24 Stunden lang in kürzester Zeit eine Palliativ-Fachkraft da ist, was vielen Sterbenden eine Sicherheit gibt. Denn sie wissen: Diese Person weiß mit meiner Unruhe, meiner Atemnot, meiner Angst umzugehen.“

Sterbebegleitung heißt auch, dass der Patient pflegerisch gut versorgt wird, „ohne dass ihm etwas peinlich sein muss“. Die Gabe von lindernden Medikamenten geschieht in enger Absprache mit dem behandelnden Arzt.

Die Teilnahme am Leben gehört übrigens für die Bewohner des Hospizes dazu. Paulsen: „Hier wird gesungen, gelacht, gespielt, jeder kann Besuch bekommen, im Gemeinschaftsraum andere treffen, kann sich aber auch zurückziehen.“

Und sogar im Sterbenwollen kann das Lebenwollen immer wieder aufflackern. Selbst in ihrer letzten Lebensphase, so habe es das Team im Hospiz schon mehrfach erlebt, hätten manche Menschen etwas Widersprüchliches: „Heute sagen sie: ‚Ach, lasst mich in Ruhe, ich will nicht mehr essen.‘ Aber schon am nächsten Tag sind sie empört und fragen: ‚Warum krieg ich heute denn nichts zu essen? Ich will doch am Wochenende meine Enkel sehen!‘“ Wer den Tod vor Augen hat, der denkt zwar nicht mehr in großen Zeiträumen, macht keine Pläne für das nächste Jahr. Aber umso mehr können es die kleinen Momente sein, die zu neuer Kraft und neuem Lebensmut verhelfen – sei es der sonnige Tag oder die bevorstehende Geburt des Enkelkindes.

Statt vehement die Legalisierung der Sterbehilfe zu fordern, rät Paulsen, sich frühzeitig Gedanken über eine Patientenverfügung zu machen. „Das ist eine Möglichkeit, einen Weg zu beschreiben, wie mit mir umgegangen werden soll. Und es ist sinnvoll, sich diese Frage alle zwei, drei Jahre neu zu stellen.“