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Lebenserinnerungen Stendals erster DDR-Berufspilot

Das Leben von Wolfgang Liese ist so spannend, dass es ein Buch wert wäre.

Von Egmar Gebert 12.01.2016, 02:00

Stendal l Geboren wurde Wolfgang Liese 1941 in Fürstenwalde/Spree. Sein Vater – er gehörte zum fliegenden Personal der Wehrmacht – war dort stationiert. Die nächste Station der jungen Familie Liese hieß Stendal. „In der Johannisstraße haben wir gewohnt“, erinnert sich der heute 74-Jährige, als wäre es gestern. Hierhin, genauer gesagt in die Borsteler Sturmholzsiedlung, war sein Vater mit den Fliegern der Ju 52, einem Transportflugzeug, versetzt worden.

Seine Jugend hat Wolfgang Liese in Stendal verlebt. Die Augen des Mannes leuchten und ein spitzbübisches Lächeln umspielt die Lippen, als er erzählt: „Schon als Dreijähriger bin ich von Zuhause ausgerückt und die rund zwei Kilometer zum Borsteler Flugplatz gelaufen. Das Blubbern der Ju‘s hat mich magisch angezogen. Und dann stand sie da, die ‚Tante Ju‘...“

Zudem waren da die Fliegerbücher des Großvaters. Die Bilder der Flugzeuge darin fesselten den Jungen schon, als er noch nicht lesen konnte. Als er es dann gelernt hatte, begann er die Geschichten zu verschlingen. Eine Leidenschaft war geboren, die Flieger-Gene waren aktiviert – aber noch ohne Folgen.

Der junge Wolfgang, die Schule gerade hinter sich, wollte Chemiker werden, flog durch die Prüfung und wurde Eisenbahner. Ohne es zu ahnen, hatte er damit die Weichen in Richtung Fliegerei gestellt.

Rolf Becker hieß der Freund, auch Eisenbahner-Lehrling, der zu dieser Zeit – es waren die Jahre 1956/1957 – schon bei den GST-Segelfliegern war. Willst Du bei uns mitmachen?, habe Rolf ihn gefragt: „Der hatte kaum ausgeredet, da war mein Ja schon draußen. Flieger, das war ‘s doch!“ Aber Wolfgang, der sich schon über den Wolken schweben sah, musste zuerst einmal eines lernen: Geduld. Ungezählte Stunden Trockenübungen, Seile spleißen, Arbeiten am Segelflugzeug, einem SG (Schulgleiter) 38, bevor er bei Bindfelde „auf einer Kuhwiese neben dem damaligen Russenschießplatz“ die ersten Flugversuche starten durfte. Für die erste richtige Übung, einen sogenannter Rutscher, setzte er sich am 11. August 1958 auf den SG 38.

Der erste Hochstart folgte acht Wochen später. „Note 4. Ich hatte die Übung nicht so geflogen, wie vorgeschrieben.“ Drei weitere Wochen des „Trockentrainings“ schlossen sich an. „Die haben mich lange zappeln lassen, wegen der verhauenen Hochstart-Übung.“ Am 26. Oktober schließlich absolvierte er das „Freifliegen A“. Von da an war der 17-Jährige in jeder freien Minute, an jedem Wochenende auf dem Segelflugplatz.

Ein knappes Jahr später machte er die B-Prüfung. Gern hätte Wolfgang Liese auch noch die letzte Segelflieger-Prüfung „mitgenommen“, die „C“, die er in Schönhagen bei Berlin fliegen sollte. Aber zwischenzeitlich kam die Zusage auf seine Bewerbung um einen Ausbildungsplatz zum GST-Motorflieger in Magdeburg.

Danach ging es Schlag auf Schlag. Bis zum Oktober 1959 flog Liese Motorflugzeuge, auch Kunstflug-Übungen, die ihn besonders reizten. Auch die hätte er gern perfektioniert, „und auch hier kam wieder was dazwischen“ – das Angebot, zur NVA zu gehen. „Ich wollte Flieger werden und da war sie, meine Chance!“ In Kamenz absolvierte er die Grundausbildung bis kurz vor Weihnachten, kam dann nach Dessau, wurde bis 1960 zum Transportflieger ausgebildet, flog die AN  2, dann die IL  14.

Wolfgang Liese hatte es geschafft. Er lebte seinen Traum, was ihm aber nur bis zum August 1961 vergönnt war. Trotz der Ereignisse rund um den Mauerbau bekam der Transportpilot und Flugzeugführer Urlaub, den er in Rumänien verbringen wollte.

Dort, so erzählt Wolfgang Liese und man spürt, wie nahe ihm dieser Abschnitt seines Lebens noch immer geht, sei er von Leuten angesprochen worden, „die bestens über mich Bescheid wussten. Ein Abwerbeversuch des Westens. Und das mir, wo ich doch so was von überzeugt von unserer Sache war.“

Für den jungen NVA-Fliegeroffizier stand fest: Das meldest Du! Er tat es. Doch weil mehrere Versuche, den rumänischen Geheimdienst oder die dortige DDR-Vertretung zu erreichen, scheiterten, schickte er eine Postkarte nach Hause, auf der alles stand. Ein Fehler.

„Was nach meiner Rückkehr passierte, war ein Spießrutenlauf.“ Etwas, was der junge, überzeugte NVA-Offizier so nie erwartet hatte, und wohl auch darum – das sagt er gerade- heraus – weitere dumme Fehler machte.

„Das Ganze endete mit der Degradierung zum Soldaten und der Entlassung aus der NVA in Unehren. Sie können sich nicht vorstellen, was das für mich bedeutete. Das war, als hätte man mir die Flügel abgeschlagen.“

Allerdings war das noch lange nicht „das Ende“. Wolfgang Liese wurde wegen Geheimnisverrates in Verbindung mit Befehlsverweigerung angeklagt und verurteilt. 30 Monate Gefängnis. Seine „Schuld“ musste er abschuften, erst im Steinkohletagebau, dann in einem Arbeitslager. „Bis zum letzten Tag, schlimm“, erinnert er sich an Haftbedingungen, die Menschen hätten brechen können. Ihn nicht. Die Zeit in der Steinkohle und im Arbeitslager hatte Wolfgang Liese hart gemacht und stark, nicht nur körperlich. Obwohl er „ganz unten“ war, als er wieder in Stendal ankam.

„Aber: Liegenbleiben gibt ‘s nicht. Aufstehen musst Du! Ich habe mich hochgedient. Auf dem Bahnhof habe ich als Rangierer anfangen müssen, wurde dann Rangierleiter, Stellwerksmeister, Fahrdienstleiter.“ Später konnte er dann studieren. Im Fernstudium an der TU Dresden wurde Liese Ingenieurökonom – Abschluss mit Auszeichnung –, stieg als einer der ersten Ingenieure in der DDR in die neue Rechentechnik ein, war wissenschaftlich tätig, erstellte als Preisbildungsingenieur Preistabellen für Projektierungsleistungen im Bauwesen der DDR. „Ich war der Preispapst in der Projektierung.“

Als Wolfgang Liese von dieser Zeit erzählt, kehrt auch das Lächeln in sein Gesicht zurück. Der Blick des 74-Jährigen auf die Vergangenheit, dessen berufliche Karriere ihn bis in die Funktion eines Experten für Wirtschaftskriminalität des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt führte, ist keiner mit Zornesfalten auf der Stirn. „Ich kenne die DDR von unten und von oben, wer kann das von sich schon sagen.“

Ein Satz, den er auch auf sein Leben als Flieger bezieht, der er heute noch ist – „im Rahmen der Möglichkeiten, die mir mein Alter lässt“, schränkt er mit typischem Liese-Lächeln ein. Und genau diesen Teil seines Lebens, vor allem den als GST-Segelflieger in Stendal und Tangermünde, ist Wolfgang Liese dabei, zu Papier zu bringen. In diesem Zusammenhang hat er eine Bitte: „Ich suche Zeitzeugen von damals, GST-Segelflieger und auch Unterlagen zur Segelfliegerei in Stendal und Tangermünde. Wer mir dabei helfen kann, würde mir einen großen Wunsch erfüllen.“