Verena Bentele „Ich leide nicht“

Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, nahm am Mittwochabend in Stendal an einem Forum zur Inklusion teil.

Von Thomas Pusch 22.01.2016, 00:01

Stendal l Der Titel klang sperrig: „Inklusion auf dem Weg zu einer gerechten Teilhabe – Anforderungen an Prävention und Rehabilitation“. Verena Bentele brachte es kurz auf den Punkt: „Vorbeugen ist besser als heilen“. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung war von der SPD-Bundestagsabgeordneten Marina Kermer als Referentin eingeladen worden. Und die beschränkte sich nicht auf Weisheiten aus dem alten Griechenland, sondern stellte auch Forderungen für die Gegenwart. Sie bemängelte die geringe gesundheitliche Versorgung auf dem Land, die es Menschen mit Behinderung schwermache, eine Praxis aufzusuchen. Und die sei dann auch nur in höchstens 20 Prozent der Fälle barrierefrei. Im Präventionsgesetz seien die Belange behinderter Menschen nicht genügend berücksichtigt. „Es muss die Menschen aber in ihren Lebenswelten abholen“, stellte sie klar.

Prof. Ulrich Nellessen, Ärztlicher Direktor des Johanniter-Krankenhauses, räumte ein, kein Fachmann für Behinderte zu sein. Prävention sei aber natürlich ein Thema für Mediziner. Auf der anderen Seite falle es oft schwer, das Leid des Lebens zu akzeptieren. „Ich leide nicht“, protestierte Bentele, die von Geburt an blind ist. Leid habe nichts mit einer Behinderung zu tun, es gebe auch Menschen ohne Behinderung, die leiden. Es solle doch vom medizinischen Modell der Behinderung wegkommen, hin zum sozialen Modell. Das sieht es als gesellschaftliche Aufgabe, den Behinderten barrierefreie Möglichkeiten zu bieten. „Wenn ich am Bahnhof keine Ansage habe, sondern nur eine Tafel, dann ist es für mich schwierig herauszufinden, wo mein Zug abfährt“, erläuterte sie ein Beispiel. Das sei aber nicht ihr Problem. Für die Gehörlosen stelle sich die Situation umgekehrt dar, denen nutzt eine Ansage nichts.

Und der ehemalige Langlauf- und Biathlon-Star Bentele, der immerhin zwölf paralympische Goldmedaillen gewonnen hat, wollte das Thema noch weiterführen: „Ich bin wahrscheinlich viel schneller gelaufen als andere Menschen ohne Behinderung.“ Menschen seien unterschiedlich. So könne sie nicht so gut rechnen, deshalb habe sie Deutsch studiert.

Nellessen hatte nicht geahnt, dass er da in ein Fettnäpfchen treten könnte. „Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mich da falsch ausgedrückt habe“, sagte er. Natürlich sehe er es auch so wie Bentele. „Allerdings sehe ich als Arzt auch sehr viele leidende Menschen, das verändert sicherlich den Blick.“