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Blickpunkt Auge Mit den Sehenden auf Augenhöhe

Die Stendaler Beratungsstelle „Blickpunkt Auge“ des Blinden- und Sehbehindertenverbandes hat eine neue Leiterin: Jette Förster (29).

Von Thomas Pusch 03.02.2016, 00:01

Stendal l Vor gut zwei Jahren verlor Jette Förster ihr Sehvermögen. Rheumatoide Arthritis war die Ursache. Die Krankheit kann nicht nur die Gelenke angreifen, sondern auch die Augen. Nur noch Hell und Dunkel kann sie unterscheiden, aber auch das wird immer schlechter. Die gebürtige Gardelegerin bekam die Krankheit als Folge von Windpocken mit zwei Jahren.

Als es auf das Abitur zuging, wurden die Sehprobleme größer. So wechselte sie an die Brandenburgische Schule für Blinde und Sehbehinderte in Königs-Wusterhausen, legte dort ihr Abitur ab. Dann studierte sie ein paar Semester Jura in Marburg. „Dann habe ich das Studium abgebrochen, weil man in diesem Land zwar ein Urteil, aber nicht immer Recht bekommt“, begründet sie im Gespräch mit der Volksstimme. Sie wollte sich effektiver für Menschen mit Bedürfnissen einsetzen, auf der sozialen Schiene.

Von ihrer Blindheit lässt sich die 29-Jährige nicht unterkriegen, ganz im Gegenteil. „Neulich habe ich überlegt, dass es mir gar nicht so schlecht geht“, sagt sie. Jüngst bestritt die ebenfalls blinde Behindertenbeauftragte Verena Benteler in einer Diskussionsrunde in Stendal, dass Menschen mit Behinderungen automatisch leiden müssten. Förster empfindet auch nicht, dass sie leidet, meint, dass sie ihr Leben sehr gut organisiert bekommt.

Nach einer Einarbeitungszeit ab Oktober mit ihrem Vorgänger Jürgen Soisson ist sie nun die neue Leiterin der Beratungsstelle „Blickpunkt Auge“ des Blinden- und Sehbehindertenverbandes in der Stendaler Bismarckstraße. Soisson hätte sie auch gerne als Nachfolgerin in seinem Amt als Leiter der Bezirksgruppe Nord des Blinden- und Sehbehindertenverbandes, doch Jette Förster ist noch auf anderen Ebenen aktiv. Sie sitzt im Präsidium des Bundesverbandes, im Landesverband ist sie als Jugendreferentin tätig. Da bleibt kein Platz für weitere Funktionen. Denn – das ist im Gespräch mit ihr schnell zu merken – wenn sie etwas macht, dann macht sie es richtig.

Und sie hat sich erst mal vorgenommen, in die Beratungsarbeit frischen Wind zu bringen. „Vor vielen Jahren hat der Bundesvorstand verstanden, dass es nicht reicht, Kaffee und Kuchen zu reichen“, erklärt sie. Die Marke „Blickpunkt Auge“ wurde ins Leben gerufen und soll sich nun etablieren. Förster will ebenso kompetenter Ansprechpartner für die Betroffenen und ihre Bezugspersonen sein wie für die Krankenkassen. „Man soll sich auf Augenhöhe begegnen“, findet sie.

Sie steht voll und ganz hinter dem Prinzip der Selbsthilfe, ist selbst betroffen und hat soziale Arbeit studiert. Mit diesem Dreigestirn fühlt sie sich für die Arbeit gut gerüstet: „Ich führe Beratungsgespräche anders“, weiß sie.

Die politische Arbeit für den Bundesverband nimmt ebenfalls eine Menge Zeit in Anspruch. Jede Menge Mails, Beschlussvorlagen und Anregungen bekommt sie in der Woche. Zudem bereitet der Verband für dieses Jahr ein Braille-Festival vor, das den Erfinder der Blindenschrift würdigen soll, und der Hörfilmpreis wird vergeben. „Damit werden Filme mit Audiodeskription ausgezeichnet“, erklärt sie. Filme also, bei denen ein Sprecher beschreibt, was der Blinde auf der Leinwand oder dem Bildschirm nicht sehen kann.

Bei so vielen Aufgaben bleibt für ein Hobby im eigentlichen Sinn keine Zeit. Jette Förster wohnt in Berlin mit ihrem Lebensgefährten und dessen neunjährigem Sohn zusammen. „Ihnen gehört meine freie Zeit und das schon seit sieben Jahren“, sagt sie mit einem glücklichen Lächeln.

Wenn sie von der Hauptstadt nach Stendal pendelt, dann erlebt sie immer wieder, wo es in der Stadt noch an gelungener Barrierefreiheit fehlt. „Wenn ich an den Stendaler Bahnhof denke, wird mir angst und bange“, meint sie kopfschüttelnd. Und das ist nur ein Bereich, den sie mit ihrem Einsatz für die Blinden und Sehbehinderten ein Stück lebenswerter machen möchte, denn: „Wir können uns behinderte Menschen leisten“.