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Urteil gefällt Internet ersetzt den Anwalt nicht

Ein Stendaler Ladendieb glaubte sich zu einer zu hohen Geldstrafe verurteilt. Der Richter überzeugte ihn vom Gegenteil.

Von Wolfgang Biermann 13.02.2016, 23:01

Stendal l Kann das Internet als kostenloser Ratgeber den teuren Rechtsanwalt ersetzen? Eher nicht. Diese bittere Erfahrung musste jetzt ein Stendaler Ladendieb machen. Er wollte den realen Richter im Amtsgericht mit virtuell im Netz gewonnenen Argumenten beeindrucken und zog gegen eine seiner Meinung nach zu hohe Geldstrafe zu Felde. Letztlich nahm er den wohlgemeinten Ratschlag des Richters aber an und nahm seinen Einspruch gegen einen im November schriftlich erlassenen Strafbefehl zurück.

Der Angeklagte war am 11. Juli vorigen Jahres in einem Laden von einem Detektiv beim Einstecken von einem Paar Handschuhen im Wert von 7,99 Euro in die Hosentasche beobachtet worden. Als der 51-Jährige den Laden verlassen wollte, stellte ihn der Detektiv zur Rede und erstattete – gleichwohl sich der Angeklagte bei ihm entschuldigt hatte – Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin ohne mündliche Hauptverhandlung einen schriftlichen Strafbefehl über 300 Euro Geldstrafe, den das Amtsgericht auch so erließ.

In seinem schriftlichen Einspruch dagegen wandte der Angeklagte ein, dass er im Internet recherchiert hätte, dass Diebstähle von geringwertigen Gütern durch Ersttäter wegen der Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht verfolgt und Strafen demzufolge nicht verhängt würden. Er sei zur Zahlung einer Geldstrafe bereit, „aber nicht in der Höhe“. Doch mit diesen im Internet gewonnenen Weisheiten räumte der Richter sogleich auf. Erstens unterliege jede Tat einer Einzelfallprüfung, und zweitens sei er kein Ersttäter.

Im Dezember 2014 war er nämlich wegen Leistungsbetruges – ebenfalls per Strafbefehl – zu einer Geldstrafe in Höhe von 225 Euro verurteilt worden. Demnach hatte er unberechtigt zuviel Arbeitslosengeld bekommen und dieses auch behalten. „Das ist eine Vorstrafe. Somit waren Sie beim Ladendiebstahl kein Ersttäter mehr“, wurde er vom Richter belehrt. Der baute ihm noch weitere „goldene Brücken“, über die der Angeklagte zunächst aber nicht gehen wollte.

Er hätte die Handschuhe „im Affekt eingesteckt und vergessen aufs Band zu legen“, behauptete er. „Das kann auch mehr werden“, deutete der Richter die Möglichkeit einer höheren Geldstrafe als 300 Euro an. Dazu kämen dann auch noch die Gerichtskosten. Erst als er ihm klarmachte, dass durch eine umfangreiche Beweisaufnahme mit Zeugenaussage des in Leipzig ansässigen Ladendetektivs und Auswertung der Bilder der Überwachungskamera der sprichwörtliche Schuss für ihn nach hinten losgehen könnte, gab der Angeklagte klein bei und zog seinen Einspruch zurück.