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Volksstimme-Aktion Sie lässt sich gern auf Neues ein

Patricia Kalz, Leiterin der Stendaler Bahnhofsmission, bekommt den Blumenstrauß des Monats.

Von Donald Lyko 09.04.2016, 03:00

Stendal l Patricia Kalz ist nicht der Typ, der sich entmutigen lässt. Wenn sie das über sich sagt, dann formuliert sie damit gleich eine ihrer Lebensmaximen. Sich auf Neues einzulassen, mit den neuen Herausforderungen zu wachsen, sind zwei weitere. Damit ist die 63-Jährige im Leben gut gefahren. Auch beim Schritt in den Lebensabschnitt, der die Stendalerin zur Bahnhofsmission geführt hat. Das war im Jahr 2011. Bis Ende 2012 war Patricia Kalz dort ehrenamtlich tätig, jetzt leitet sie die Einrichtung auf Basis eines Minijobs – denn die 63-Jährige ist Rentnerin. Die Arbeit in der Bahnhofsmission ist für sie mehr als das. Es ist ein neues wichtiges Kapitel in ihrem Leben. Sie und ihr Mann Manfred sind wieder in Stendal angekommen.

Aufgewachsen sind sie beide in Stendal, hier wurden ihre acht Kinder geboren. Nach der Wende mussten aber einige Weichen gestellt werden – und die Strecke führte nach Gütersloh. In einer Spedition hatte Manfred Kalz eine Anstellung als Berufskraftfahrer. Als sich Patricia Kalz beruflich neu orientieren musste, fragte sie dort nach, ob auch Frauen als Fahrer beschäftigt werden. Nach dem Ja vom künftigen Chef machte sie ihren Lastwagen-Führerschein – mit 49 Jahren. „Ich bin vorher im Landschaftsbau große Traktoren gefahren, das hat mir Spaß gemacht“, erzählt die 63-Jährige. Im Jahr 2002 zogen beide nach Gütersloh, sie transportierte fortan mit einem 40-Tonner Waren in ganz Europa.

Ihr Mann auf der Straße unterwegs, sie dann auch, da musste sich das Paar etwas einfallen lassen. „Meist waren wir an den Wochenenden zu Hause“, sagt Patricia Kalz. Und wenn nicht, war eine gute Planung wichtig. „Wenn wir beide zum Beispiel nach England mussten, haben wir uns für das Wochenende an einem bestimmten Ort verabredet. Wir hatten immer Klappräder dabei, um uns vieles anzuschauen“, schwärmt sie von der Zeit als Truckerin.

Aus gesundheitlichen Gründen musste sie den geliebten Beruf an den Nagel hängen, aus familiären Gründen musste das Ehepaar dann 2010 die Weiche wieder Richtung alte Heimat stellen. „Und dabei wollten wir nie wieder zurück nach Stendal“, sagt Patricia Kalz. Sie und ihr Mann hatten sich in Gütersloh ein neues Zuhause geschaffen, hatten Freunde gefunden.

Zurück in der Altmark, war es mit einem Job nicht ganz einfach. Über ein berufsorientiertes Training und Praktika im Tageszentrum der Borghardt-Stiftung und in zwei Altenpflegeheimen lernte sie den sozialen Bereich kennen. „Das war eine Herausforderung für mich. Als Berufskraftfahrerin unterwegs war man ja einen ganz anderen Ton gewohnt.“ Sie habe selbst über sich gestaunt, „dass es funktioniert hat. Aber ich habe mich darauf eingelassen, man bekommt von den Menschen auch sehr viel wieder“, sagt sie – und könnte damit ihre Arbeit in der Bahnhofsmission beschreiben.

Von deren Eröffnung hatte Patricia Kalz von Dorothee Oesemann erfahren. Die Gemeindeleiterin der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde hatte ihr empfohlen: „Geh doch mal hin, das wäre was für dich.“ Und sie hatte Recht. Seit der Eröffnung ist Patricia Kalz dabei. Als Leiterin teilt sie sich die Schichten mit acht Ehrenamtlichen (darunter Ehemann Manfred), hat sich in Buchhaltung und den Umgang mit dem Computer eingearbeitet – eine Herausforderung für sie.

Die Bahnhofsmission in Trägerschaft des evangelischen Kirchenkreises Stendal ist montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr am Bahnsteig 1 geöffnet, „leider nicht am Wochenende“. Dort finden Hilfesuchende Unterstützung, bekommen Auskunft, etwas zu essen und zu trinken, bei Bedarf Kleidung. Die Mitarbeiter helfen beim Ein- und Aussteigen, geleiten über den Bahnhof, rufen Hilfe. Sie hören zu, informieren, vermitteln in Notfällen Kontakte zu Fachstellen der Sozialarbeit und anderen. „In einem Fall haben wir sogar einen Hausarzt vermittelt“, berichtet Patricia Kalz.

Zur Klientel gehören Reisende, aber auch Obdachlose. „Für viele ist das Gespräch wichtig und die Erfahrung, dass sie nicht alleingelassen werden“, weiß die 63-Jährige. Und sie weiß, „dass man den Leuten auf Augenhöhe begegnen muss“. Diese Begegnungen finden oft auf den Bahnsteigen statt, wo die Mitarbeiter an ihren blauen Westen zu erkennen sind.

„Es wäre schön, wenn wir ein paar mehr Leute wären“, wünscht sich die Leiterin der Bahnhofsmission. Offen, freundlich und zuverlässig sollten die Helfer, die eine kleine Aufwandsentschädigung bekommen, sein. „Kraft ist nicht unbedingt erforderlich. Wir müssen ja keine Koffer tragen.“ Interessenten sind eingeladen, fünf Probeschichten zu absolvieren. Dabei merke man dann, ob einem die Arbeit liegt. Sie selbst hatte anfangs auch nicht gedacht, dass es ihr liegen würde, gesteht Patricia Kalz, „aber man muss sich darauf einlassen“. Sie hat es getan und sagt heute: „Es macht Spaß, und es hält fit.“ Ihr gefällt es, mit Menschen zu arbeiten.

Was Patricia Kalz sich für die Bahnhofsmission Stendal wünscht, ist das Angebot der mobilen Begleitung: Dabei steigt einer der Mitarbeiter mit einem Hilfsbedürftigen in den Zug und begleitet ihn zum Zielort. „Der Bedarf dafür ist da“, weiß die 63-Jährige. Im Mai wollen sich die Mitarbeiter im Wolmirstedter Bodelschwingh-Haus darüber informieren.

Wenn Patricia Kalz, die in der Freizeit Entspannung im Garten und mit ihrem Hund findet, über die Hilfe für andere spricht, dann aus ihrem christlichen Verständnis heraus. „Wir sind hier offen für alle“, sagt sie und spricht von „gelebter Ökumene“. Was Glauben und Kirche betrifft, hat sie eine klare Haltung: „Man muss sehen, was uns verbindet, und nicht, was trennt.“