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Freiwilligen-Einsatz Nur ja keinen Fehler machen

Freiwillige gibt es im Stendaler Familienzentrum Färberhof schon länger. Seit ein paar Wochen zählen neun Syrer dazu.

Von Nora Knappe 16.04.2016, 01:01

Stendal l Ahmad Kattaa und Abass Alkhouder lächeln beinah unentwegt während des Gesprächs. Sie blicken freundlich und versuchen, möglichst viel zu verstehen, antworten zögerlich auf Deutsch, tasten sich vorsichtig durch jeden Satz. Kann sein, dass ihr Lächeln nur ein kleiner Schutzschild ist, aber ihre Freundlichkeit kommt von Herzen.

Der 48-jährige Ahmad Kattaa und der 47-jährige Abass Alkhouder sind zwei von neun Syrern, die seit März im Mehrgenerationenhaus Färberhof Stendal als Freiwillige mitarbeiten. Sie helfen bei handwerklichen Tätigkeiten, begleiten die Kinder bei Ausflügen, machen mit ihnen Sport, spielen mit ihnen. Und das fällt ihnen nun wirklich nicht schwer, schließlich sind sie selbst Familienväter. „Spielen mit Kindern macht Spaß“, sagt Abass Alkhouder. Er selbst hat vier Kinder – sie und seine Frau sind noch nicht hier, die gefährliche Flucht übers Meer hat er allein riskiert, hat seine Familie vorher in Sicherheit gebracht. Er ist seit acht Monaten in Deutschland und von Beruf Kaufmann, „für Kleidung und für Schuhe“. Am Montag beginnt sein Integrationskurs – ein weiterer Schritt auf dem Weg in eine Zukunft in Deutschland. „Ich möchte in meinem Beruf arbeiten“, ist sein großer Wunsch.

Das möchte auch Ahmad Kattaa, von Beruf Bauingenieur. Was er kann, hat er bei den Bauarbeiten am Spielschiff gezeigt. „Da war er sehr korrekt“, erinnert sich Färberhof-Geschäftsführerin Marika Mund. Seinen Aufenthaltstitel hat Ahmad Kattaa noch nicht, darum gibt es für ihn auch noch keinen Integrationskurs. Aber er hat seine Familie hier, ein wichtiger Halt.

Dass Alkhouder und Kattaa sowie fünf weitere syrische Männer und zwei Frauen überhaupt im Färberhof sind, war mehr Zufall als Plan. Eine Mitarbeiterin, die derzeit Sprachkurse für Flüchtlinge gibt, hatte festgestellt, dass zwischen Sprach- und Integrationskurs oft eine sehr lange Zeit liegt. Ob man da nicht was machen könnte... „Ja, das ist doch einfach, dachten wir, Deutsch können wir ja“, erinnert sich Marika Mund.

Nach ein paar Tagen Ausprobieren wurden schließlich Nägel mit bürokratischen Köpfen gemacht. „Wir haben Freiwilligenvereinbarungen geschlossen, wie mit deutschen Freiwilligen bei uns im Haus auch“, sagt Mund. Mit dem Jugendamt und den Sozialarbeitern des Landkreises Stendal sei alles abgestimmt worden, „ob und was wir überhaupt dürfen“. Von Seiten der Eltern und Mitarbeiter habe es „viele berechtigte Nachfragen gegeben, aber das lief alles ganz unaufgeregt“. Lediglich zwei Beschwerden von Eltern habe es gegeben, aus unterschiedlichen Gründen.

Den syrischen Freiwilligen gibt ihre Zeit im Färberhof neben dem sprachlichen Ausprobieren auch die Möglichkeit, ein bisschen Normalität zu leben. Im Sinne von: mit anderen Menschen zusammen sein – erzählen, lachen, zuhören, wahrgenommen werden. So wie bei den beiden gemeinsamen Kochabenden – erst wurde syrisch gekocht, beim nächsten Mal gab es deutsche Gerichte. „Sehr, sehr lecker“, sagt Ahmad Kattaa lachend.

Es sind in der Mehrzahl Männer, sie alle sind Muslime. „Aber von allen pauschalisierten Vorurteilen bestätigt sich hier gar nichts“, sagt Mund. „Was zählt, ist doch: Was und wer tut den Kindern gut?“ Ihr Kollege Lars Gasper, der für die Syrer der Hauptansprechpartner ist, stellt – mal ganz abgesehen von der praktischen Hilfe, die sie leisten – auf persönlicher Ebene viel Verbindendes fest: „Es passt menschlich, sie sind einfach witzig.“

Und bei den Jüngeren, die zwischen 16 und 20 Jahre alt sind, beobachten die Färberhof-Mitarbeiter eine ganz erstaunliche Verhaltensweise, wie Marika Mund schildert: „Sie sind total bemüht, ja keinen Fehler zu machen, darum löchern sie die Kolleginnen, wie man sich richtig gegenüber Frauen verhält, wie man gucken darf, wie nah man an jemanden heran darf, was man sagen darf.“

Normalerweise bekommen die Freiwilligen eine Aufwandsentschädigung – die Syrer derzeit aber nicht. „Das geht leider nicht wegen ihres noch ungeklärten Aufenthaltstitels“, erklärt Marika Mund. „Das Wenigste, was wir tun können, ist, ihnen Verpflegung zu geben und sie bei Behördengängen zu unterstützen“, sagt sie und fügt dankbar an: „Die Syrer geben auf alle Fälle mehr, als wir können.“

Am heutigen Sonnabend findet im Färberhof (Hohe Bude 5) ein Tag der offenen Tür statt: 10 bis 16 Uhr.