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Ärztemangel Das Modell der guten alten Poliklinik

Ärzte auf dem Land sind Mangelware. Davon gehen die meisten Menschen aus. Die Zahlen zeigen ein anderes Bild, wurde in Stendal deutlich.

Von Volker Langner 11.12.2015, 00:01

Stendal l Ungläubige Blicke erntete Dr. Helene Kneip, als sie am Mittwoch in der Stendaler Hochschule berichtete, dass es im Kreis Stendal bei den Augenärzten eine Überversorgung gebe. Die rund 25 Zuhörer schätzten das offensichtlich ganz anders ein, hatten lange Wartezeiten für Termine bei den Augenspezialisten im Blick und auch Hinweise an Praxen, dass keine Neupatienten mehr angenommen werden. „Das sind die Zahlen“, hielt Kneip entgegen und verwies auf die Bedarfsplanung. Danach ergebe sich im Kreis Stendal eine Unterversorgung statistisch einzig bei Hautärzten (76 Prozent) und Urologen (67 Prozent).

Volkswirtin Kneip, die im Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Magdeburg-Stendal lehrt, meinte: „Die Zahl der Ärzte in Deutschland steigt permanent.“ So seien im Vorjahr 365 247 berufstätige Ärzte gemeldet gewesen – 2,2 Prozent mehr als 2013. Dennoch sprach auch sie von einem Mangel an Medizinern. Ein leichtes Plus reiche längst nicht aus, um die Lücken in der medizinischen Versorgung zu schließen, so Kneip. Sie verwies unter anderem auf eine alternde Bevölkerung, einen zunehmenden Krankenstand, steigende Behandlungsmöglichkeiten, ausufernde Bürokratie.

Hinzu kommt – und das, glaubt Kneip, verstärke die Probleme zukünftig – der Altersdurchschnitt der Ärzte. Mehr als jeder vierte Arzt in Sachsen-Anhalt ist über 60 Jahre alt. „Es gibt Handlungsbedarf!“ Die Region stehe vor der Frage: Wie bekommen wir junge Ärzte aufs Land?

Für mögliche Antworten griff Kneip auf eine Studie des Hartmann-Bundes, eines Berufsverbands von Ärzten, zurück. Daraus ergebe sich, dass die junge Generation „nicht vorrangig mit Geld zu locken“ sei. Sie setze ihr Augenmerk vielmehr auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auf ein ausgeglichenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit, auf geregelte Arbeitszeit, auf Teamarbeit, auf den Einsatz moderner Technik.

Daraus resultieren dann auch Vorschläge von jungen Medizinern. Kneip nannte als Erstes den Aufbau von medizinischen Versorgungszentren, bei denen mehrere Fachärzte unter einem Dach praktizieren. „Hatten wir schon“, erschallten Rufe von Besuchern, die auf die zu DDR-Zeiten verbreiteten Polikliniken hinwiesen.

Ein weiteres Modell ist eine von der Kommune finanzierte Praxis, für die sie Ärzte und Schwestern anstellt. Denkbar ist auch die Bereitstellung von Räumen, die Ärzte regelmäßig für Sprechstunden nutzen, sowie eine enge Zusammenarbeit von Landärzten und regionalen Krankenhäusern. Genannt wurde zudem die Telemedizin, also die Behandlung und auch der Austausch mit Therapeuten und zwischen Ärzten per Telekommunikation.

In der Diskussion, die schon während des Vortrags einsetzte, wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, ob mehr Ärzte als Angestellte tätig sein sollten. Die Politik wurde aufgefordert, die ländliche Region zu stärken, um sie auch für Ärzte attraktiver zu gestalten.

Ungläubige Blicke gab es dann noch einmal, als ein Zuhörer gegen den Numerus clausus beim Medizinstudium wetterte. Diese Zulassungsbeschränkung habe dazu geführt, dass der Anteil der Ärztinnen zunehme und das sei problematisch. Helene Kneip vernahm es mit Unverständnis, wollte aber keine Debatte darüber führen, ob Frauen oder Männer die besseren Mediziner seien. Ein Mann aus dem Publikum beendete den Disput mit dem spöttischen Hinweis, er befinde auch jene Zeit für besser, als Eltern noch zu bestimmen hatten, wen ihr Spross heiratet.