1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Hufschmied Herms reist von Stall zu Stall

Altes Handwerk Hufschmied Herms reist von Stall zu Stall

Ein altes Handwerk lebt weiter - ganz mobil. Hufschmied Ulrich Herms aus dem altmärkischen Berkau reist von Stall zu Stall.

Von Matthias C. Kuhn 02.07.2017, 09:57

Berkau l Die Esse mit glühenden Kohlen gibt es nicht mehr. Wer an einen Hufschmied denkt, stellt sich in der Regel eine Schmiede vor, zu der die Besitzer mit ihren Pferden kommen, um diese neu beschlagen zu lassen. „Das ist schon lange vorbei“, erzählt Ulrich Herms. Er zählt zu dem Dutzend Hufschmieden, die in der Altmark dieses alte Handwerk noch ausüben. „Korrekt heißt es ja Hufbeschlagschmied“, führt der gebürtige Berkauer im Gespräch mit der Volksstimme weiter aus, während er arbeitet. Vier Pferde sind an diesem Vormittag auf einem Reiterhof in Lüffingen bei Gardelegen zu beschlagen.

Mit seiner mobilen Schmiede ist er vor Ort. An Bord seines Fahrzeugs befindet sich alles, was er zum Beschlagen benötigt: gasbetriebener Ofen, Amboss, unzähliges Werkzeug und die verschiedensten Hufeisen. Er sei „der Schuster für die Pferde“ und kümmere sich somit um das passende „Schuhwerk“, das die Hufe schützt. Dabei reicht das Repertoire eines Hufschmieds weit über das fachgerechte Anpassen der Eisen und das Beschlagen der Pferde hinaus.

„Zu unserem Beruf gehört auch die Huforthopädie“, erzählt der 53-Jährige. Auch dies habe von jeher zum Handwerk gehört. Doch das Berufsbild hat sich mit den Jahren stark gewandelt. Die klassische Dorfschmiede gibt es nicht mehr, die Herms selbst noch aus der eigenen Kindheit kannte. „Mit Pferden wird heute kein Geld verdient“, bringt er den Wandel im Landbau auf den Punkt und: „Die Ära der Pferde in der Landwirtschaft ging Anfang der 1970er Jahre zu Ende.“

Zumindest in der Altmark. Und damit auch die Schmiede in den Dörfern. Zwar gab es auch weiterhin Pferde, diese wurden dann aber als Reittiere fürs Freizeitvergnügen genutzt. Somit überlebte bis heute auch das traditionsreiche Handwerk des Hufschmieds. Erst nach der Wende, als die Freizeitreiterei immer beliebter wurde, stieg der Bedarf an Hufbeschlagschmieden wieder leicht an. Aber die wesentliche Veränderung ist der Ort der Tätigkeit. Heute kommt der Hufschmied zum Pferd; die „Schmiede“ ist auf den vier Rädern eines Kleintransporters untergebracht. „Das ist alles Marke Eigenbau“, sagt er. Jeder Schmied habe sich seine individuellen Lösungen einfallen lassen.

Aufgewachsen ist Herms im altmärkischen Berkau, bezeichnet sich selbst als einheimischen Berkauer. „Die mütterliche Linie lässt sich bis ins 16. Jahrhundert in Berkau belegen“, erzählt er nicht ohne Stolz. Sein Vater, ein Handwerker, stammt aus Trüstedt bei Gardelegen. Die Eltern bewirtschafteten ursprünglich einen Hof und so wuchs Herms im landwirtschaftlichen Umfeld auf. Dazu zählten auch die Pferde.

Doch Hufschmied als Beruf ergreifen? Er winkt ab. Das war damals kein Thema. Durch die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der ehemaligen DDR waren die Berufsfelder für einen jungen Mann doch recht begrenzt. Herms resümiert: „Als Traktorist durch die Gegend fahren? Als Melker den Kühen an den Zitzen rumspielen?“ Nein, das entsprach nicht seinen Vorstellungen einer beruflichen Zukunft. Daher entschloss er sich zur Lehre als Landmaschinenschlosser und arbeitete bis zur Wende im Volkseigenen Betrieb (VEB) Fahrzeugbau Kakerbeck als Betriebsschlosser. Nach der Wende war er für zwei Jahre bei der Kampfmittelbeseitigung tätig und im Anschluss bei einer Tiefbaufirma beschäftigt. „Da habe ich gutes Geld verdient“, blickt er zurück. Doch war er in der Woche auf Montage, fern ab von Familie und dem geliebten Heimatdorf. Ein Umstand, den er gerne ändern wollte.

Die Konstante zur Landwirtschaft in dieser Zeit war und ist bis heute die Liebe zu Pferden: „Man hat immer mit Pferden zu tun gehabt.“ In jüngeren Jahren hat Herms die Vielseitigkeit geritten, heute steigt er noch aus Spaß in den Sattel und ist im Fahrsport aktiv. „Und dann bekam ich einen Tipp von einem Schlosser aus Gardelegen“, erinnert sich der zweifache Familienvater an das Jahr 1996. Der Schmied in Solpke suchte zu diesem Zeitpunkt einen Mitarbeiter. Der Berkauer musste nicht lange überlegen. Einen Metallberuf hatte er gelernt und mit Pferden ist er aufgewachsen – warum also nicht als Hufschmied arbeiten? Insbesondere, weil damit die lästige Montagetätigkeit passé wäre, er jeden Tag bei der Familie sein konnte.

Doch bevor er dem Solpker Schmied zur Hand gehen konnte, galt es erneut die Schulbank zu drücken. In sechs Monaten lernte Herms an der Hufbeschlagschule alles, was ein Hufbeschlagschmied an handwerklichem Können und fachlichem Wissen mitbringen muss. Das traditionsreiche Handwerk des Schmieds gibt es laut Agentur für Arbeit seit 1989 als Lehrberuf nicht mehr. Der Weg zum Hufschmied erfordert daher eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung in einem Metallberuf, erläutert Ulrich Herms. Dazu kommt die Spezialisierung an der Hufbeschlagschule sowie eine zweijährige „Lehrzeit“ bei einem Hufbeschlagschmied. Danach ist der „Lehrling“ selbst Hufbeschlagschmied und darf diese Tätigkeit ausüben. Der Berkauer arbeitete acht Jahre beim Schmied in Solpke, bevor er sich schließlich im Jahr 2004 selbstständig machte.

Diese „Lehrzeit“ führte den Berkauer vornehmlich ins benachbarte Niedersachsen. „Wir waren in Braunschweig, Wolfsburg, Peine, Gifhorn und Königslutter unterwegs“, erzählt er. Der Grund dafür sei zum einen die bessere Bezahlung für die Dienstleistung, zum anderen der Mangel an Hufschmieden gewesen. Aber das wesentliche Kriterium war und sei das Können. Für einen Hufschmied ist „Pferdeverstand Grundvoraussetzung“ betont der Altmärker. „Ruhe und Geduld“ sind wichtig, ebenso wie „Vertrauen aufbauen“, nennt er Eckpunkte seines Handwerks. Und: „Was du dem Pferd gibst, gibt es dir wieder.“ Aber: „Ein Pferd vergisst schlechte Erfahrungen nicht.“

Zwar ist das fachgerechte Bearbeiten des Metalls – sprich Hufeisen wesentlich. Doch was nützt das handwerkliche Können mit Ofen, Hammer und Amboss, wenn die Eisen nicht an den Huf kommen. „Als Schmied musst du an jedes Pferd ran“, stellt Herms klar und führt weiter aus: „Vom Pferd geht auch Gefahr aus. Daher immer dichte ran.“ Dennoch geht die Arbeit mit Pferden nicht ohne Blessuren vonstatten: „Jeder Schmied bekommt sein Fett weg.“ Bisher habe er aber „Glück gehabt“.

Herms verschwindet in seinem Wagen und holt einen Satz passender Hufeisen. Diese sind Industrieware. „Selbst schmieden wäre nicht bezahlbar“, sagt der Berkauer und ergänzt, dass die heutigen Hufeisen meist aus England stammen würden. Zwar habe er in der Beschlagschule das Schmieden von Hufeisen gelernt, doch in der Praxis werde es kaum gebraucht. Meist im Bereich des orthopädischen Hufbeschlags, erklärt er. Positiver Nebeneffekt dieser Entwicklung ist der Umstand, dass „es leichter“ geworden sei.

Trotzdem muss das Hufeisen für jeden Pferdefuß individuell angepasst werden. Und an diesem Punkt keimt etwas vom klassischen Schmiedehandwerk auf. Um das Eisen anzupassen, muss es auf rund 900 Grad Celsius erhitzt werden. Im Anschluss wird es auf dem Amboss und mit einigen Hammerschlägen in die entsprechende Form gebracht. Auch wenn dies nach archaischem Kraftakt für den Laien aussieht, stellt Herms klar: „Erfahrung und Gefühl gehören dazu.“ Doch bevor die Eisen an die Hufe kommen, müssen die alten Hufeisen entfernt und der Huf gereinigt sowie vorbereitet werden. Dabei wirft der Schmied auch einen prüfenden Blick auf den Pferdefuß, ob Erkrankungen oder dergleichen zu erkennen sind. Dann presst er das heiße Eisen auf den Huf, um die Passform zu prüfen. Eine weiße Wolke verbranntes Horn steigt auf – ein Anblick, der dem Autor die Sorgenfalten ins Gesicht treibt. Doch der Altmärker beruhigt seinen Zuschauer – das Pferd spüre davon nichts, wenn der Schmied korrekt gearbeitet hat.

Bis das Pferd mit neuen Hufeisen beschlagen ist, vergeht einige Zeit. Abwechslend bearbeitet Herms das Metall, dann geht es wieder am Huf weiter. Auch wenn das Arbeiten am Pferd viel „Kraft kostet“, ist Ulrich Herms zufrieden mit seinem Leben: „Es ist die Lust und Liebe zum Beruf und zum Pferd.“