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Archivstück Aufs Velociped nur mit Fahrkarte

Im Stendaler Stadtarchiv findet man mitunter kuriose Dinge. Polizeiakten, Vereinsstatute und Zeitungen erzählen vom Radfahren damals.

Von Nora Knappe 21.10.2016, 01:01

Stendal l Stendal war mal eine Stadt der Radfahrer. Davon zeugen etliche Vereinsgründungen. Die erste im Stadtarchiv belegte Gründung ist die des Radfahrer-Vereins im März 1884. Zahlreiche weitere folgten, darunter die des Arbeiter-Radfahrer-Vereins oder des Vereins Schwalbe 1905. Auch einen „Klub Stendaler Rad- turisten“ gab es. „Viele dieser Gruppen bestanden aber nur drei, vier Jahre“, hat Stadtarchivleiterin Simone Habendorf bei ihren Recherchen festgestellt. Dennoch: Die Vereinslust im Radfahrervolk hielt einige Jahrzehnte an.

Diese Vereine trafen sich nicht nur zum Vergnügen, also zu gemeinsamen Ausfahrten, sondern machten sich auch für die Rechte und Sicherheit von Radfahrern stark. Offenbar mit Erfolg: 1910 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, im Schadewachten Radfahrwege anzulegen. Für die Bahnhofstraße sind Pläne mit Skizzen erhalten.

19 Jahre später soll auf Anregung der „Arbeitsgemeinschaft zur Propagierung des Radfahrwegegedankens“ eine „Werbewoche zur Schaffung von Radfahrwegen“ veranstaltet werden. Da eine solche allerdings „mit nicht unerheblichen Kosten verbunden ist“, könne eine Beteiligung nicht empfohlen werden, heißt es in einem Schreiben des Präsidenten des Deutschen Städtetages.

Doch schon im Februar 1930 äußert sich der Regierungspräsident in Magdeburg dahingehend, „der Schaffung von Radfahrwegen für die Zukunft eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen“, da insbesondere „bei Straßen mit lebhaftem Autoverkehr eine dauernde Lebensgefährdung der Radfahrer“ entstehe. Das Fahrrad sei nun einmal das bevorzugte Beförderungsmittel „der minderbemittelten Schichten“ und „bedarf als solches der ganz besonderen Fürsorge der Behörden“.

Reguliert wurde der Radverkehr schon in seinen Anfängen. Wohl nicht von ungefähr, denn Leichtsinn und Missachtung von Vorschriften gibt es nicht erst seit verkehrsstärkeren Jahrzehnten. Auch das regelwidrige oder rücksichtslose Befahren von Fußwegen durch Radfahrer ist demnach keine Marotte der Neuzeit. Schon in der „Polizei-Verordnung betreffend das Fahren mit Fahrrädern“, die am 1. April 1896 in Kraft trat, ist unter Paragraph 1 zu lesen: „Radfahrer dürfen andere als zum Fahren und Reiten bestimmte Straßen und Wege nicht benutzen.“

Allerdings gibt es auch Paragraph 14, der sich auf die Seite der Radler stellt: „Muthwillige Belästigungen oder Gefährdungen sowie sonstige Ungebührlichkeiten gegenüber den Radfahrern sind verboten.“

Allerdings durfte nicht jeder einfach so Rad fahren, dafür brauchte man schon eine Erlaubnis, die „Fahrkarte“ hieß und für die Dauer eines Kalenderjahres ausgestellt wurde. Zur Erlangung einer solchen war die Befähigungsbescheinigung nötig. Otto Dieterici zum Beispiel wurde im April 1896 vom Vorsitzenden des Radfahrervereins Stendal bescheinigt, „daß er in der Handhabung seines Velocipeds diejenige Fertigkeit besitzt, welche ihn befähigt, sich ohne Belästigung des Publicums auf der Landstraße und in Ortschaften auf seinem Velociped fortzubewegen“.