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Auf hoher See Koffer voll spannender Geschichte

Historikerin Leineweber wertete das Reise-Tagebuch ihres Opas Walther Falke aus. Der Sandauer fuhr 1908 als Schiffsarzt nach Afrika.

Von Bernd-Volker Brahms 27.10.2016, 01:01

Stendal l Mehr als hundert Jahre wurde der Reisekoffer von Walther Falke (1875-1973) aufgehoben, ohne das dieser größeres Interesse in der Familie weckte. Vor einiger Zeit hat seine Enkelin Rosemarie Leineweber sich den Koffer geschnappt und ist dabei auf eine ganz besondere Geschichte gestoßen. Der Koffer des gebürtigen Sandauers enthielt ein Tagebuch und unzählige Fotos und Dokumente einer dreimonatigen Schiffsreise, die Walther Falke im Jahre 1908 als Schiffsarzt rund um Afrika erlebte.

„Mein Opa hat die Fahrt sehr gut dokumentiert, sich sehr viele, fast tägliche Notizen gemacht“, erzählte die promovierte Historikerin Leineweber bei einem Vortrag am Dienstag im Stendaler Stadtarchiv. Die Autorin, die zwischen 1974 und 1993 als Archäologin in Museen in der Altmark gearbeitet hat und jetzt in Salzwedel lebt, hat aus den Unterlagen ihres Opas das Buch „Als Schiffsarzt 1908 rund um Afrika“ zusammengestellt.

„Die Aufzeichnungen meines Großvaters geben einen Einblick in eine Welt, die es nicht mehr gibt“, sagte Leineweber. Auch müsse man bei einigen Tagebucheinträgen berücksichtigen, dass Walther Falke im Kaiserreich aufgewachsen und eben „ein Kind seiner Zeit“ sei. Insbesondere in einigen Bemerkungen über Einheimische, die er als „Niggerboy“ und „Neger“ bezeichnet, die oft mit Whiskeyflaschen umherlaufen, spiegelt sich eine herablassende Haltung.

Die Aufzeichnungen spiegeln andererseits eine gewisse Langsamkeit wider, die die Schiffscrew und die Passagiere auf ihrer Reise erlebten. Es wurde viel geknobelt und Domino gespielt sowie Nickerchen gehalten. Auf der Tour, die vom 1. Juli bis 23. September 1908 dauerte, wurden in 85 Tagen 28 Häfen angesteuert.

Walther Falke, der zum Zeitpunkt der Fahrt 33 Jahre alt war, fotografierte viel und entwickelte die Bilder sogar gleich noch an Bord. Vor Ort hat er sich aber auch Postkarten gekauft.

„Er hat viel hinterlassen“, sagt Enkelin Leineweber, die im thüringischen Eisenach geboren wurde. Sie zapfte für das Buchprojekt dennoch mehrere Archive und Bibliotheken an, um das Material zu ergänzen. So konnte sie Passagierlisten, Speisekarten und auch Fotos und Zeichnungen des Schiffes „Herzog“ bekommen sowie ein metereologisches Tagebuch auswerten.

Auch die Zeitgeschichte musste die Autorin aufarbeiten. „Als Kind der DDR hat man ja über deutsche Kolonien in der Schule so gut wie nichts erfahren“, sagt Leineweber. Das Wissen habe sie sich aneignen müssen.

„Ich konnte gar nicht alles im Buch unterbringen“, sagt die Autorin. Am Ende ist das reich bebilderte Buch 144 Seiten dick geworden. Es enthält die kompletten Tagebuchaufzeichnungen des Schiffsarztes. Der erste Abschnitt führt zum Thema hin und erläutert auch den Werdegang von Walther Falke hin zu einem Arzt in Nebra, wo er sich nach seiner Schiffsreise niederließ und 65 Jahre später auch starb.

Autorin Leineweber versucht zu ergründen, wie es überhaupt zu der Afrikareise ihres Großvaters gekommen war. Sie fand heraus, dass er zwischen zwei Anstellungen mehrere Monate Zeit hatte und diese nutzen wollte und so als Schiffsarzt anheuerte. Dadurch, dass er nicht nur in Freiburg und Berlin sondern auch in Kiel studierte und seine erste Assistenzstelle in Hamburg antrat, hatte er maritimes Flair erlebt.

Den Aspekt der Faszination für Afrika hat Walther Falke möglicherweise in Stendal am Gymnasium mitbekommen, vermutet die Enkelin. Als Falke als Elfjähriger 1886 nach Stendal zog, war der gebürtige Afrikaforscher Gustav Nachtigal gerade ein Jahr zuvor gestorben. „Es ist sehr stark anzunehmen, dass die Schüler über das Wirken Nachtigals unterrichtet wurden“, sagt Leineweber.

Bei den Recherchen stieß die Salzwedelerin auf interessante Nebenaspekte. So forstete sie die Passagierliste durch und stieß dabei auf einen Professor Scheibe, der bis Lüderitzbucht (heutiges Namibia) mitfuhr. Er war wenig später dabei, als in Kolmanskop große Diamantenvorkommen entdeckt wurden. Ein zweiter Mitreisender war der Postinspektor Friedrich Leue, der wohnhaft in Stendal in der Frommhagenstraße war. Ein weitere Fund war der Roman „Raggys Fahrt nach Südwest“, den eine Lene Hasse verfasst hat und die in ihrem Buch die Fahrt auf der „Herzog“ beschrieb und so eine gute Ergänzung darstellt.

Im Übrigen zeigte sich Falke stets mit der Altmark verbunden. Auch zu DDR-Zeiten hatte er ein Bismarck-Porträt in seiner Praxis hängen.

Das Buch „Als Schiffsarzt 1908 rund um Afrika“ ist im Dr. Ziethen Verlag Oschersleben erschienen, 14,99 Euro.