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Aus dem Gericht Prozess um Zwangsheirat geplatzt

Wegen des Vorwurfs, seine Tochter zwangsverheiraten zu wollen, stand ein Stendaler irakischer Herkunft vor Gericht. Der Prozess platzte.

Von Wolfgang Biermann 20.09.2017, 13:26

Stendal l Der Prozess gegen einen Stendaler irakischer Herkunft, der seine minderjährige Tochter angeblich zwangsverheiraten wollte, ist geplatzt. Am Montag sollte der zweite Verhandlungstag sein. Doch schon in der Vorwoche erhielt das Gericht die Mitteilung, dass der 54-Jährige sich im Irak aufhalte. Er sei dorthin gereist, weil einer seiner Söhne angeblich einen Unfall hatte, hieß es zur Erklärung. Allerdings sei das aus einem Nachweis nicht eindeutig hervorgegangen, erfuhr die Volksstimme. Inzwischen gibt es aber wohl einen leserlichen Nachweis, so dass der für Montag angesetzte Fortsetzungstermin von Richter Thomas Schulz aufgehoben wurde.

Damit ist der am 31. August begonnene Prozess geplatzt und muss neu aufgerollt werden. Denn für einen Fortsetzungstermin hat der Gesetzgeber eine Frist von drei Wochen gesetzt. Und so muss die heute 19-jährige Tochter, die laut Anklage auf Geheiß ihres Vaters ihren in Finnland lebenden Cousin heiraten sollte, in einem neuen Prozess nochmals aussagen.

Wie berichtet, hatte die zur Tatzeit 17-jährige Tochter ausgesagt, dass ihr Vater sie angewiesen habe, nur mit dem Kopftuch in die Schule zu gehen und jeden Kontakt mit gleichaltrigen Jungs zu meiden. Dazu habe er auch ihr Handy kontrolliert und die Teilnahme an einer Klassenfahrt untersagt.

Was aber viel schwerer wiegt: Unvermittelt sagte die Tochter beim Prozessauftakt aus, dass ihr Vater Anfang 2016 mit einem Finger ihre „Jungfräulichkeit überprüft“ hätte. Daraufhin hatte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage der Volksstimme diesbezügliche Ermittlungen angekündigt, die eine Anklage wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen zur Folge haben könnten.

In einem neuen Prozess muss auch ihre Mutter, die Ehefrau des seit 1998 in Deutschland lebenden Angeklagten, aussagen. Sie soll von diesem geschlagen und mit heißem Tee übergossen worden sein. Seit 2013 befindet sie sich in Deutschland. Zunächst hatte sie im Vorjahr mit ihren Kindern Schutz im Frauenhaus gesucht – erst in Stendal und dann in Salzwedel. Sie lebt jetzt in Sachsen.

Ungeklärt war beim Prozess- auftakt geblieben, warum der Angeklagte der Ehefrau und den Kindern die Pässe abnahm. Die Dokumente waren bei einer vom Gericht angeordneten Durchsuchung von der Polizei in einem Lagerraum seines Geschäftes versteckt gefunden worden. Er wollte die Pässe dort vor Dieben schützen, lautete seine, dem Gericht wenig plausibel erscheinende Erklärung. Der Angeklagte bestritt alle Tatvorwürfe, insbesondere die Zwangsheirat. Seine Ehefrau hätte er nur einmal geschubst und der Tee, mit er sie übergossen hat, sei kalt und nicht heiß gewesen.