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Auswanderer „Einen Florian kennen die nicht“

Mit acht Jahren wanderte Florian Till mit seinen Eltern nach Kanada aus. Jetzt kam er zu Besuch in die Altmark.

08.09.2015, 23:01

Tangerhütte/Delta l Die Frage, ob er schon einige seiner alten Freunde besucht hat, erübrigt sich. Als er mit seiner Familie von Tangerhütte nach Kanada ausgewandert ist, war Florian Till gerade mal acht Jahre alt. Da sind nicht mehr viele Freundschaften übrig. Aber das ist im Moment für Florian nur Nebensache. Freunde hat er mittlerweile in Kanada gefunden. Was ihm dort fehlt, ist seine Familie. Und auch wenn es nur ein kurzer Besuch war, der ihn mal wieder nach Tangerhütte verschlagen hat, so hat er sich fest vorgenommen, diesen ausgiebig mit der Familie zu verbringen.

An den Umzug selbst kann sich Florian kaum erinnern. Das Prozedere, der Umzug, die Gefühle – das ist alles weit weg. „Ich habe das gar nicht richtig verstanden“, sagt der heute 16-Jährige. Traurig sei er gewesen, der Familie wegen. „Etwas Angst hatte ich auch, wegen der Sprache“, sagt er. „Ich konnte ja kein Wort Englisch.“ Mittlerweile ist er in Kanada angekommen. Mit seiner Familie, Vater Stephan, Mutter Sandra und Schwester Emily lebt er in Delta, einer Stadt in der Nähe von Vancouver. Und ja, er liebt seine neue Heimat: „Es ist wirklich total schön, vor allem die Landschaft. Da laufen auch schon mal die Kojoten durch die Stadt oder Bären schnüffeln in den Gärten herum. Das fetzt schon.“

„Vor der Schule hatte ich tierisch Angst“, erinnert sich Florian. Alles war fremd, die Umgebung, die Menschen, die Sprache. „Ich habe anfangs kein Wort verstanden“, sagt er. „Das war sehr schwierig, da hatte ich viel Heimweh. Das dauerte auch eine ganze Weile.“ Aus der Krise heraus haben ihm nicht nur seine Eltern, sondern auch die Klassenkameraden geholfen. „Die waren eher neugierig auf mich“, erinnert er sich. „Ich war der einzige Deutsche an der Schule. Jemanden aus Deutschland kannten die gar nicht und mit meinem Namen konnten die auch nichts anfangen. Die hatten eben noch nie von einem Florian gehört. Und die verstehen auch nicht, wenn meine Eltern mich Flori nennen. Das ist schon witzig.“

Mittlerweile spricht Florian fließend Englisch. So fließend sogar, dass ihm im Deutschen immer wieder englische Wörter dazwischen rutschen. Dann muss er schon mal zugeben, dass er nicht mehr weiß, wie das ein oder andere Wort auf Deutsch heißt. Ein knappes halbes Jahr hat es gedauert, dann kam Florian mit dem Englischen zurecht. „Bis dahin habe ich viel mit Händen gezeigt und meine Klassenkameraden haben mir auf Englisch gesagt, was das heißt. Das hat sehr gut geklappt.“

Besonders cool findet Florian, dass er in Kanada relativ unkompliziert einen Führerschein machen kann. „Mit 16 geht das los, dann kann man fahren, wenn ein Erwachsener mitfährt. Dann ist man ein sogenannter ‚Learner‘, also ein Anfänger und muss ein ‚L‘ auf dem Auto haben. Ab 17 darf man alleine fahren, dann fährt man mit dem ‚N‘ auf dem Auto. Das steht für ‚new driver‘, neuer Fahrer. Das ist auch alles sehr preiswert. Ich werde mich da wohl bald drum kümmern.“

Auch die Kommunikation der Jugendlichen untereinander funktioniert in Kanada etwas anders als in Deutschland. Während hier Whatsapp und Facebook die Kommunikationsplattformen Nummer eins sind, halten es die Kanadier mehr mit I-Message. „Wir haben fast alle ein I-Phone“, sagt Florian und muss grinsen, ob der verwunderten Blicke. „Es ist in Kanada nicht ganz so teuer“, sagt er und erklärt, dass es das I-Phone gratis zum Vertrag gibt, der um die 79 Dollar im Monat kostet. Nun ja, offensichtlich haben Kanadier und Deutsche auch unterschiedliche Vorstellungen von dem, was teuer oder günstig ist.

Zukunftsaussichten sind in Kanada etwas schwieriger als in Deutschland, findet Florian. Eigentlich würde er gerne Koch werden. „Ich liebe das Essen“, sagt er. „Und auch das Kochen. Ich finde das toll“. Mag sein, dass das in der Familie liegt, Papa Stephan ist Fleischer, hat sich in Kanada erfolgreich mit einer eigenen Fleischerei selbstständig gemacht. Und auch Opa Klaus in Tangerhütte war seinerzeit Fleischer. Die Leidenschaft fürs Essen und Kochen dürfte Florian also im Blut liegen. Das Problem in Kanada ist nur, dass es dort keine Berufsschulen gibt, wo er seinen Traumberuf lernen kann. „Man geht entweder aufs College und studiert oder man geht nach der Schule arbeiten. Und das College ist sehr teuer.“ Möglich aber, dass Florian seine Ausbildung in Deutschland machen wird. Mit dem Gedanken spielt er nämlich, seit er wieder in der alten Heimat gewesen ist.

Jetzt aber Butter bei die Fische: Was ist denn für ihn mehr Heimat: Delta in Kanada oder Tangerhütte? Da kommt Florian dann doch ins Grübeln. „Ich find‘s schon cool in Kanada. Aber ich habe gemerkt, dass ich das hier doll vermisst habe. Ich mag‘s hier. Und wo ich später lebe, wird man sehen. Vielleicht mal hier, mal da. Möglich ist alles.“