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Bahnhofsmission Andere auf der Reise begleiten

Die Stendaler Bahnhofsmission lud zur Weihnachtsfeier ein.

Von Thomas Pusch 18.12.2017, 00:01

Stendal l Die Tränen wollten einfach nicht aufhören, an Maiks Wange herunterzurinnen. So gerührt war der junge Mann von dem irischen Weihnachtssegen, den Juliane Kleemann eindrucksvoll eindringlich vortrug. „Gott bereite dir den Raum, den du brauchst und an dem du so sein kannst, wie du bist“, heißt es darin beispielsweise. „Ich bin traurig, weil ich hier keine Familie habe“, erklärte er der Volksstimme schluchzend. Seine leibliche Familie wohnt in Wolfen, aber die Mitarbeiter der Bahnhofsmission sind so etwas wie eine Ersatzfamilie geworden. Und in deren Raum kann er so sein, wie er ist, in deren Raum am Bahnsteig 1 feierte er am Sonnabend mit einigen anderen Gästen Weihnachten.

Als die sehbehinderte Annemarie Kock das Prinzen-Lied „Ich wünsche mir zum Weihnachtsfest“ auf dem Keyboard anstimmte, waren die Tränen auch schon wieder getrocknet. Und Zeilen wie: „Ich wünsche mir zum Weihnachtsfest, dass alle an mich denken. Und wem das Denken nicht genügt, der kann mir auch was schenken“, zauberten ein Lächeln auf die Gesichter von allen im Raum. Kock sorgte mit Musik und Gesang zum zweiten Mal für Unterhaltung bei der Bahnhofsmission. Umgekehrt nimmt sie auch öfter deren Dienste in Anspruch. Sie braucht Hilfe, um vom Bus in den Zug nach Wolmirstedt zu kommen, wo sie als Rehapsychologin arbeitet. „Und da ist die Bahnhofsmission viel flexibler als die Bahn“, erzählte sie. Für die Mission reiche eine Vorlaufzeit von zwei Stunden, bei der Bahn müsse man sich mindestens einen Tag vorher anmelden.

Acht Helfer hat die Mission derzeit, jeder einfahrende Zug wird von zwei Mitarbeitern in blauen Westen empfangen. Die helfen beim Erreichen eines Anschlusszuges, dem Tragen von Gepäck oder auch in anderen mehr oder weniger misslichen Lebenslagen. „Die Zahl der Bedürftigen steigt“, hat Annette Seher festgestellt. Sie wird am 1. Januar die Nachfolge von Patricia Kalz als Leiterin der Stendaler Bahnhofsmission antreten. Fünf Jahre lang hatte sie diese Position versehen, war schon seit der Eröffnung 2011 in der Mission tätig. Beim Gedanken an den Abschied wird sie aber nicht wehmütig. „Ich schreibe mein Leben in Kapiteln“, sagte sie, „ein weiteres ist abgeschlossen, mal sehen, was jetzt kommt.“

Und Annette Seher ist nicht mulmig zumute, wenn sie an die Aufgaben des kommenden Jahres kennt. Über neue Helfer würde sie sich sehr freuen, einzige Voraussetzung: offen sein für den Umgang mit Menschen. Der Lohn: „Helfen macht glücklich“.