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Bühne Analoge Typen mit rustikaler Weltsicht

Mit seinem Programm "Vorspeise zum Jüngsten Gericht" war Dietmar Wischmeyer im Theater der Altmark zu Gast.

Von Donald Lyko 02.03.2018, 00:01

Stendal l Einfühlsam, politisch korrekt, verklausulierend formulieren, beschönigen – aber nicht mit Dietmar Wischmeyer. Der mag es derb formuliert, klar ausgesprochen, auf den Punkt gebracht. Wenn er über Vollidioten und Vollpfosten spricht, dann nennt er sie auch so. Wenn er die Dummheit einiger Zeitgenossen nicht mehr ertragen kann, dann sagt er das frei heraus. Und wenn andere tunlichst vermeiden, das Gespräch auf die Hygiene im Herren-Genitalbereich zu bringen, dann macht der Autor, Kolumnist und Statiriker eine ganze Bühnennummer daraus. Das ist Wischmeyer: Der darf das, der kann das, der muss das sogar – weil seine Fans ihn so lieben und wollen.

Und so zieht er derzeit wieder mit scharfer Zunge und sehr guter Beobachtungsgabe durchs Land, um einen Nachruf zu sprechen auf unsere fetten Jahre – ganz, wie es der Untertitel zu seinem Programm und zum Buch „Vorspeise zum Jüngsten Gericht“ verspricht. In Zeiten von Technisierung und Internetabhängigkeit bringt Wischmeyer – bekannt vom „Frühstyxradio“ oder seinen Beiträgen in der ZDF-„Heute-Show“ – gern die analogen Typen auf die Bühne, die es noch immer gibt und wie sie irgendwie jeder kennt.

Da ist zum Beispiel der Wohnmobil-Besitzer, der einmal im Jahr für zwei Wochen auf einem Supermarkt-Parkplatz Urlaub macht – weil es nichts kostet und weil mehr los ist. Ein Problem gibt es allerdings: die Entsorgung der Fäkalien. Ein Thema für sich, an dem sich Wischmeyer gleich zum Anfang genüsslich abarbeitet und von dem es für die Zuschauer, nach einem Blick in die Wohnmobil-Toilette, die für die Partnerinnensuche wichtige Erkenntnis gibt: „Ein verdautes Nackensteak riecht bei einem Model nicht anders als bei unserer Mutter.“

In einer gelungenen Mischung aus Monolog, Film­einspielern und Dialog mit Stimmen aus dem Off bringt Wischmeyer die Charaktere auf die Bühne, die mit rustikaler Sicht das Leben beobachten. Da ist der Schlachthof-Besitzer Fritzenkötter, der während eines Interviews mit der „Schnitzel-Revue“ gesprächszweigleisig fährt und die Angestellten verbal zusammenfaltet. Da ist Günther, der Treckerfahrer, der über die Mann-Frau-Beziehung referiert, die sich als „Bedürfnisbefriedigung etabliert hat“, und darüber, dass die Bräute auf dem Lande knapp werden, wo der Mann hauptsächlich eine Frau vom „leinenführigen Mehrnutzungstyp“ sucht und wo ein klassischer Heiratsantrag aus den Worten: „Na, wie ist es jetzt?“ besteht. Sagt sie nicht direkt Nein, ist die Verlobung beschlossen.

Und natürlich fehlt im Reigen dieser analogen Typen der kleine Tierfreund nicht, der sich der Tierwelt annimmt, die es mit der Umstellung von Winter- auf Sommerzeit nicht leicht hat – und mancher Fuchs so schnell unter die Räder gerät, weil er vergisst, dass die Autos auf dem Weg zur Arbeit eine Stunde früher kommen.

Ob als Porsche-Fahrer, als amtierender Bundespräsident, als Willi Deutschmann, der sich ehrenamtlich um den militärischen Drill der Flüchtlinge aus der benachbarten Unterkunft kümmert („meine eigene Fremdenlegion“); ob beim Ebay-Verkäufer-Käufer-Gespräch, beim Alb-Träumen über den Sommerurlaub und das Grillen oder beim Streit darüber, ob ein Weimaraner ein Dalmatiner ohne Punkte ist, weil die im Osten ja nichts hatten – Wischmeyer springt (im übertragenen Sinne und im Wechsel der Kulisse) mit großer Spiellust von Rolle zu Rolle. Wenige Requisiten, hier und da mal ein Kostüm reichen ihm dafür aus. Die große Stärke ist einfach die typische Wischmeyer-Stimme, wunderbar wandelbar.

An einigen Stellen nimmt sich der Satiriker des aktuellen Tagesgeschehens und wichtiger Fragen („Warum kommt die afrikanische Schweine-grippe eigentlich aus Polen?“) an, davon hätte es gern noch mehr sein dürfen. Aber so ein Bühnenabend ist (leider) endlich und das Jüngste Gericht (hoffentlich) noch in weiter Ferne. Es bleibt also Zeit, in der Dietmar Wischmeyer dafür eine weitere Vorspeise in Stendal servieren könnte.