Corona-Krise Trotz allem gelassen

Corona verändert auch die Arbeit im Kinderheim. Das Team im Stendaler Haus "Horizont" übt sich in Zuversicht und Kreativität.

Von Nora Knappe 22.04.2020, 15:00

Stendal l Geduld, Realismus, Gelassenheit, Kreativität, Zuversicht... Das könnten die Eigenschaften sein, die gerade derzeit in einem Stellengesuch des Kinder- und Jugendheims aufzuzählen wären. So viel jedenfalls kristallisiert sich nach einem Gespräch mit Melanie Frodl heraus, die das Stendaler Haus „Horizont“ in Trägerschaft des Paritätischen Sozialwerks leitet und mit ihrem Team derzeit wie andere soziale Einrichtungen unter besonderen Bedingungen arbeitet.

Was sich mit Corona und der Kontaktsperre geändert hat? „Komplett alles“, ist erst mal ihre spontane Antwort, in der ein durchschnaufendes Verblüfftsein mitschwingt. Während sonst die meisten der Kinder tagsüber in Kita oder Schule sind, bleiben sie nun eben genau wie alle anderen Kinder zu Hause – im Heim. „Wir müssen jetzt eine 24-Stunden-Betreuung machen, brauchen also auch einen Frühdienst, was nicht einfach ist, weil wir ohnehin Personalmangel haben.“ Hinzu kommen krankheitsbedingte Ausfälle im Team.

Insofern ist das mit der Stellenausschreibung nicht so weithergeholt, denn in der Tat würde sich Frodl freuen, neue Erzieher zu begrüßen: „Wir haben zwei bis drei Stellen frei, wer also einen Job sucht: Immer her hier!“

Derzeit sind im Stendaler Kinder- und Jugendheim „Horizont“ zehn Erzieher, drei Erzieher in Ausbildung, drei Hausfrauen, ein Bufdi und zwei Praktikanten im Einsatz, sie sind für 22 Kinder und Jugendliche da, von denen die meisten schulpflichtig sind. „Von 9 bis 11 Uhr ist Hausaufgabenzeit“, sagt Frodl und verhehlt nicht, wie schwierig selbst diese zwei Stunden sind: „Wir sind Erzieher und keine Lehrer, können den Kindern ja auch keinen neuen Stoff beibringen.“ Was diese Schwierigkeit nochmals steigert: „Wir müssen die Gruppen auseinanderziehen, nicht nur wegen der Abstandsregeln, sondern weil unterschiedliche Altersgruppen mit unterschiedlichem Lernstoff zu betreuen sind.“

Hinzu kämen wachsende Motivationslosigkeit unter den Kindern, „pubertätsbedingte Bockigkeiten“ und der Umstand, dass manche immer wieder unerlaubt das Haus verlassen. Ein hohes Risiko für alle im Kinderheim, denn man wisse ja nicht, mit wem der oder die Betreffende inzwischen Kontakt hatte. Für viele Kinder sei es aber auch schwer, die Situation zu begreifen: „Das Virus ist eine unsichtbare Bedrohung, das führt dazu, dass man es nicht ernst nimmt.“

Derweil versuchen die Erzieher*innen alles ihnen Mögliche, die Kinder zu beschäftigen, entwickeln gesteigerte Kreativität – veranstalten Schnipseljagd und Wissensrallye im Haus, nähen zusammen Schutzmasken, entdecken neue Spiele. Der Spielplatz am Haus sei aus Sicherheitsgründen leider kaum noch nutzbar, die verbleibenden Geräte würden jetzt abgebaut. Dennoch wird natürlich draußen getobt, und Melanie Frodl ist froh über jeden Nachbarn, der darin kein Ärgernis sieht.

Die Kolleg*innen seien allesamt noch guter Dinge, fühlten sich noch nicht überlastet: „Alle nehmen es gefasst und realistisch. Wir können die Situation nicht ändern, wir müssen das einfach alles mit Ruhe angehen.“ Und das wollten sie auch den Kindern vermitteln: „Dass wir das schaffen.“ Da es eine Besuchssperre gibt, bleibe man mit den Eltern telefonisch in Kontakt, auch per Tablet über Internet. „Das ist die einzige Art, wie wir ihnen derzeit eine Stütze sein können“, sagt Frodl.

Auf die Hoffnung auf einen genaueren Zeitpunkt, wann es wieder „wie vorher“ wird, lässt sich Frodl gar nicht erst ein: „Ich denke, dass es noch länger als bis zum 4. Mai dauert, der Alltag holt uns ja jeden Tag aufs Neue ein.“ Sie sagt das weder anklagend noch verzweifelt – Melanie Frodl scheint zu den Menschen zu gehören, denen eine solide Grundausstattung an Zuversicht und Fröhlichkeit eigen ist.

Kontakt zum Kinder- und Jugendheim „Horizont“: Tel. 03931/68 49 90, E-Mail: horizont-sdl@paritaet-lsa.de