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DDR-Korrespondent Als Sensenbäume der Hit waren

Mehr als ein Jahrzehnt berichtete Karl-Heinz Baum aus der DDR. In Stendal berichtete er über diese Zeit.

Von Thomas Pusch 10.03.2018, 00:01

Stendal l Sie waren 23, vielleicht 24, die DDR-Korrespondenten aus der Bundesrepublik, schätzte Karl-Heinz Baum. Er war einer von ihnen, von 1977 bis 1990 berichtete er für die Frankfurter Rundschau aus Ostdeutschland. Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung berichtete er am Donnerstagabend einem interessiert lauschenden Publikum von dieser Zeit.

Als er in den 70er Jahren das Angebot bekam, in die DDR zu gehen, war Baum noch nicht überzeugt davon. In einem Mainzer Weinlokal traf er sich mit dem damaligen ZDF-Chefredakteur Reinhard Appel. „Der sagte mir, dass es das Beste wäre, in Bonn zu arbeiten, dann käme Washington und dann auch schon die DDR“, erzählte er. Baum nahm das Angebot an, freute sich auch darauf, einen langjährigen Freund aus Ost-Berlin nun öfter sehen zu können.

Baum lag sehr daran, den Alltag in der DDR zu beschreiben. Eine seine Vorgaben war auch, dass die Frankfurter Rundschau regelmäßige Berichterstattung erwartet, statt der einen Sensation, die dann zur Ausweisung führt. Den Vorwurf, er habe daher immer mild geschrieben, will er aber dennoch nicht gelten lassen.

Seine Arbeit führte ihn auch in den heutigen Landkreis Stendal. Unter dem Titel „Sensenbäume sind der große Schlager“ veröffentlichte die Frankfurter Rundschau am 10. September 1985 einen Artikel über den Havelberger Pferdemarkt. Schon um 4 Uhr morgens hat er bei Windstärke 7 bis 8 mit Marktbeschickern gesprochen. Auf der größten freien Verkaufsveranstaltung der DDR gab es alles, was es sonst kaum oder auch gar nicht gab. Besagte Sensenbäume sind praktisch eine Sense ohne Klinge, es gab aber auch Schallplatten, von den Beatles bis zu Nena. Und wenn dann ein Kunde sich über den Preis von 20 Mark mokierte, sagte der Verkäufer lakonisch: „Dann geh doch in einen Laden“.

Baum wurde auch von der Stasi beobachtet. Seine Akte umfasst 22 Ordner mit insgesamt 7000 Seiten. Vieles wurde akribisch aufgeschrieben, „aber was wirklich wichtig war, haben sie nicht mitgekriegt.“ Baum führte ein privilegiertes Leben, der Zugang von West nach Ost und umgekehrt stand ihm rund um die Uhr offen, Steuern musste er keine bezahlen.

Manche seiner Geschichten gingen unter die Haut, vor allem auch ihm selbst. So war er einer von nur vier westlichen Journalisten bei der Beerdigung des letzten Mauertoten, Chris Gueffroy. Der von der Stasi organisierte Begräbnisredner war offenbar nicht über die Umstände informiert worden. „Warum hat sich ihr Sohn denn umgebracht“, wollte er von Gueffroys Mutter im Vorgespräch wissen. Die tödlichen Schüsse im Grenzstreifen thematisierte er natürlich nicht.

Im Juni 1989 interviewte Baum den in der Bürgerbewegung aktiven Pfarrer Friedrich Schorlemmer, wollte von ihm wissen, ob die Berliner Mauer denn eine tragende Wand des Hauses Europa sein könnte. „Auf so eine brüchige Wand würde ich nicht setzen“, habe Schorlemmer geantwortet, „Beton platzt von innen und dann fällt die Wand einfach um.“ Fünf Monate später, am 9. November, fiel die Mauer tatsächlich, zumindest gingen die Schlagbäume hoch. Wenige Stunden zuvor hatte Baum noch in der Pressekonferenz von Günter Schabowski gesessen, der die neuen Reiseregelungen verkündete. „Die machen hier die Mauer auf“, hatte Baum danach zu einem Kollegen gesagt. Am Abend fuhr er zur Bornholmer Straße, nahm dorthin zwei euphorische junge Männer mit. „Die Bretter sind endlich weg, darauf habe ich 28 Jahre lang gewartet“, meinte einer von ihnen. „Wie alt sind sie denn“, wollte Baum wissen. „26“.