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Demenz Wenn Senioren aus dem Heim verschwinden

Seit September ist Lisa Bujak aus einem Seniorenheim in Tangerhütte spurlos verschwunden. Wie sollte ein Heim mit Demenz umgehen?

24.11.2017, 23:01

Stendal l Es ist Freitag der 29. September, zirka 15.30 Uhr, als Lisa Bujak den Seniorenwohnpark in Tangerhütte verlässt. Die 79-Jährige ist erst seit knapp zehn Tagen in dem Heim untergebracht. Sie ist körperlich fit, leidet aber an Demenz und geht gerne ihre eigenen Wege. Einfach drauflos. Ohne erkennbares Ziel. Sie wird aber immer wiedergefunden. Bis auf den besagten Freitag. Seitdem fehlt von der 79-Jährigen jede Spur. Für die Angehörigen beginnt eine Zeit voller Ungewissheit und Sorge.

Aber es gibt vor allem viele offene Fragen. Abgesehen von der Sorge um den Gesundheitszustand von Lisa Bujak will die Familie vor allem wissen, wie es passieren kann, dass eine alte Dame, die für ihren Bewegungsdrang bekannt ist, aus einem Heim verschwindet, ohne dass es jemand merkt. Hätte das Personal besser aufpassen müssen?

Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind. Laut Rechtslage hat jeder Bewohner eines Heims das Recht, sich frei zu bewegen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Einrichtung. „Jede andere Form, die Menschen am Verlassen der Einrichtung zu hindern, gilt als Freiheitsberaubung“, erklärt dazu Kerstin Jurczyk, Bereichsleiterin der Stationären Pflege im Stendaler Seniorenheim „Am Schwanenteich“. Ihre tägliche Arbeit ist die Arbeit mit Demenzpatienten. Daher weiß Kerstin Jurczyk, dass, wer den Drang hat, zu gehen, einen Weg findet. Sie daran zu hindern, sei verboten und könne nur durch einen richterlichen Beschluss angeordnet werden. Dieser wird aber nur als allerletztes Mittel eingesetzt und auch nur dann, wenn deutlich erkennbar ist, dass die betreffende Person eine Gefahr für sich oder andere darstellt.

Ob Lisa Bujak eine solche Gefahr darstellt, ist unklar. Laut Angehörigen soll die Bewegungstendenz zwar da, aber nicht auffällig gewesen sein. Der Seniorenwohnpark Tangerhütte selbst äußert sich nicht und verweist auf die Pressestelle in Hamburg, die mit diesem Fall aber nicht im Einzelnen betraut ist.

Aber auch die Polizei weiß, dass Demenzpatienten oft dazu neigen, unterwegs zu sein. „Das kommt tatsächlich zwei- bis dreimal in der Woche vor“, sagt Marco Neiß, Pressesprecher der Stendaler Polizei. „Wir leiten dann sofort Suchmaßnahmen ein, finden die meisten aber nach kurzer Zeit wieder.“ Oft kenne man die gesuchten Personen und wisse, wo man suchen müsse, so Neiß. „Sie suchen meist einen Ort ihrer Vergangenheit auf.“ Dass eine Person wie Lisa Bujak spurlos verschwindet, sei eher eine Seltenheit. „Aber es kommt leider auch vor“, so Neiß.

Deshalb stehe Biographiearbeit an erster Stelle der Präventionsarbeit, um das „Ausbüxen“ von Demenzpatienten so weit wie möglich zu verhindern, sagt Kerstin Jurczyk. Zu wissen, was die Menschen bewegt und wo sie sich innerlich befinden, sei eine Chance, sie aufzufangen.

Auch Beschäftigung sei eine Möglichkeit, die Menschen vom Weglaufgedanken abzulenken. Thomas Ohde, Betreiber des Ambulanten Pflegedienstes in Stendal: „Wir bieten eine 24-Stunden-Betreuung an, Mitarbeiter sind immer vor Ort und kümmern sich um die Belange der Bewohner.“ Und wenn doch mal jemand weg ist? „Das kann man nicht verhindern. Dann fangen wir sofort an zu suchen und rufen die Polizei. Bisher haben wir zum Glück alle wiedergefunden.“

Im Seniorenwohnheim „Am Schwanenteich“ versucht man, mit Hilfsmitteln den Menschen Orientierung zu bieten. Wegweiser und Wohnräume sind farblich abgestimmt. An den Türen hängen Schilder mit der Aufschrift „Vorsicht“, „weil Menschen mit Demenz hier nicht durchgehen“, so Kerstin Jurczyk. Und für die nachtaktiven Senioren gebe es ein Nachtcafé, das von einer Mitarbeiterin betreut wird, die für die Senioren da ist. Ein Tagesablauf, der an den heimischen angelehnt ist, sorgt außerdem dafür, dass Senioren ihren Arbeiten im Haushalt nachgehen. „Hier wird selbst gekocht und geputzt.“

Eine Garantie ist das nicht, das weiß Kerstin Jurczyk. „Aber es ist sind Versuche, die Menschen in ihrer Welt aufzufangen, weil Einschließen und Sedieren keine Alternative sind. Sie haben das Recht auf Freiheit. Aber manchmal ist das eben auch die Gefahr.“