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Ehe für alle Ein Gesellschaftsbeweger

Eduard Stapel gilt als Gründer der Schwulenbewegung in der DDR. Die Entscheidung für die Ehe für alle kommt für ihn zu spät.

Von Anne Toss 26.07.2017, 01:01

35 Jahre haben Sie sich für die Ehe für alle eingesetzt. Vor Kurzem beklagte nun Ministerpräsident Reiner Haseloff, dass das Thema im Bundestag zu schnell abgehandelt worden sei. Was sagen Sie zu seiner Aussage?

Eduard Stapel: Tja, an der Stelle ist Herr Haseloff 35 Jahre lang eine Schlafmütze gewesen. Noch dazu, wo er doch von hier stammt und ein Kirchenmann ist, wenn auch katholisch. Die Diskussion über die Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen hat in den 80er Jahren in der DDR zwar vorrangig in der evangelischen Kirche stattgefunden, aber einige katholische Bistümer haben das Thema auch angesprochen. Das ist also nichts ganz Neues für einen Katholiken – für Herrn Haseloff aber offenbar doch. Der zweite Punkt: Es steht im Koalitionsvertrag – den schien er auch nicht zu kennen. Und der dritte Punkt ist, dass das Thema 30 Mal im Rechtsausschuss des Bundestages war, und 30 Mal hat die CDU das Thema dort nicht zugelassen. Es ist natürlich eine perfide Aussage, wenn man bedenkt, dass er das mit Sicherheit eben doch gewusst hat.

Wie haben Sie den 30. Juni, an dem der Bundestag über die Ehe für alle abgestimmt hat, erlebt?

Wie jeden anderen Tag auch. Inzwischen ist das – für mich jedenfalls – schon langweilig gewesen, weil die Debatte über so viele Jahre ging. Ich habe an dem Thema 35 Jahre gesessen, in den letzten 15 Jahren ging es mit den immer gleichen Argumenten – oder gar keinen Argumenten – hin und her. Für mich war klar, dass die Entscheidung irgendwann kommt. Es war bloß die Frage, ob wir noch zehn oder 30 Jahre brauchen.

Auch wenn es für Sie zu lange gedauert hat – können Sie sich dennoch über den Beschluss freuen?

Ich freue mich schon, dass uns das gelungen ist. Ich breche bloß nicht in Freudentränen aus, dafür hat es zu lange gedauert. Mir fehlt immer ein Bild, um das ordentlich zu beschreiben. Es ist, wie wenn man ein ganzes Leben lang einen Fünfer im Lotto haben wollte und fünf Minuten vor dem Friedhof kriegt man ihn endlich.

Ist die Gleichberechtigung Homosexueller jetzt erreicht?

Nein. Denn zu 90 Prozent kann man nicht gleichberechtigt sein. Gleichberechtigung meint eben gleiche Rechte in allen Bereichen. Und da fehlt noch so manches. Die Juristen sagen uns beispielsweise, dass wir dafür im Grundgesetz in Artikel 3 Absatz 3 – der Gleichheit vor dem Gesetz – noch die Aufnahme der sexuellen Orientierung beziehungsweise sexuellen Identität brauchen. Aber bisher klappt das noch nicht. Und Reiner Haseloff hat schon öfters gesagt, dass er die Landesverfassung in diesem Punkt auch nicht ändern will.

Was sehen Sie als Ihre größten Erfolge an?

Mit der Gründung des Schwulenverbandes Deutschland haben wir es geschafft, die am meisten verachteten Leute in der DDR zu einer Bewegung zu bringen und dann diese Bewegung in den ganzen Einheitsstrudel nach Westen auszudehnen. Wir sind somit eine richtige Vereinigung andersrum, wie sich das gehört. (lacht) Soweit ich weiß, ist das auch das Einzige, was sich von Ost nach West ausgedehnt hat.