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Engagement Bunt und fröhlich - ganz im Ernst

Hinter den bunten Aktionen des Stendaler Netzwerks "Herz statt Hetze" steckt mehr: Der Wunsch nach einem Miteinander ohne Hass und Gewalt.

Von Nora Knappe 14.08.2016, 02:00

Stendal l Es ist eigentlich nur ein Satz, auf dem ihr Engagement basiert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Es ist der erste Satz im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Und eigentlich müsste jeder ihn kennen. Und verstehen. Und aufs Leben übertragen. Doch wenn sich die Mitglieder des Stendaler Netzwerks „Herz statt Hetze“ die derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen so anschauen, dann haben sie daran ihre Zweifel. Und genau deshalb setzen sie sich für diesen ersten Satz ein – und damit für ein friedliches Miteinander aller Menschen.

Eine Versammlung der sogenannten Bürgerbewegung Altmark – die sich weitestgehend aus nicht in der Altmark heimischen oder hier wohnenden Teilnehmern zusammensetzt – im Oktober 2015 war der Gründungsimpuls für „Herz statt Hetze“. „Es war klar, dass das eine Pegida-Nachahmung war, und Pegida ist nichts für uns hier“, sagt Klaudia Blumenthal*. „Wir wollen zeigen, dass man etwas tun kann. Dagegen und für die andere Seite.“ Im Zusammenhang mit ihrem „Herz statt Hetze“-Engagement möchte Blumenthal nicht mehr mit ihrem richtigen Namen in der Öffentlichkeit erscheinen, denn: „Die Bedrohung ist da“, sagt sie. Anfeindungen und abschätzige Kommentare hat sie zur Genüge erfahren.

Ihren Mitstreitern geht es teilweise genauso, was Jürgen Werner* die besorgte Frage stellen lässt: „Es ist doch eigentlich ein Unding, dass ich Angst haben muss und wir uns dafür rechtfertigen müssen, auf der Grundlage des Grundgesetzes zu leben und zu agieren.“ Die Errungenschaft, mit vielen verschiedenen Menschen das Leben zu gestalten, sich dafür mit ihnen auseinanderzusetzen, aber sich auch bereichern zu lassen, „will ich mir nicht kaputtmachen lassen“.

„Herz statt Hetze“ ist ein Zusammenschluss zahlreicher Personen aus Vereinen, Initiativen, Kirchen, Parteien, Hochschule und der Bürgerschaft der Stadt Stendal. Wie viele genau es sind, lässt sich nicht sagen, aber im E-Mail-Verteiler sind etwa 40 Adressen.

Seit Oktober 2015 hat „Herz statt Hetze“ mit zahlreichen bunten Aktionen aufmerken lassen – anfangs immer als Kon­trastpunkt zu den Bürgerbewegung-Demos, mittlerweile unabhängig davon. Bilder malen, Lieder singen, Lichterketten, Fahrradkorso, Friedensgebete, Gespräche bei Kaffee und Kuchen sind und bleiben wichtiger Bestandteil des Engagements von „Herz statt Hetze“.

Denn, so die Beobachtung der Organisatoren, nicht das hasserfüllte Gebrüll von Rechten oder die unbehagliche Konfrontationssituation einer Demo ziehen die Menschen an, sondern gerade das Bunte und Freundliche, das Lockere und Leichte lässt sie auf den Winckelmann-Platz kommen und mitmalen oder Selfies mit dem großen Pappherz machen.

Diese Form der im wahrsten Sinne herzlichen Begegnung und des lebensfrohen Mitein­anders gehört genauso dazu wie das Angebot zum Dialog, zur Auseinandersetzung mit Argumenten und Ängsten. „Aber Dialog findet nicht auf der Straße bei einer Demo statt, für Dialog brauchen wir weiterhin das Bürgerforum“, sagt Juliane Kleemann und führt den Gedanken noch fort: „Wenn es um völkisch-nationalistisches Gedankengut geht, ist das keine Dialoggrundlage. Menschenrechte stellen wir nicht in Frage.“

Aber selbst bei den bunten, fröhlichen Aktionen kann man ja ins Gespräch kommen – vielleicht sogar noch besser. „Für viele Leute sind wir ein Podium, wo sie ihre Meinung sagen können, wo sie loswerden können, was sie bewegt“, hat Sylvia Gohsrich festgestellt.

Das Eintreten für ein Gesellschaftsbild, das nicht auf Gewalt, Hass, Ausgrenzung und Rassismus basiert, sondern auf Mitmenschlichkeit, Freundlichkeit, Friedlichkeit und Toleranz kostet die „Herz statt Hetze“-Beteiligten natürlich auch Kraft. Sie alle gehen ihren Berufen nach, sind anderweitig vielfältig engagiert und eingespannt. Und auch psychisch haben sie bei ihren Straßenaktionen manchmal einiges auszuhalten, wenn sie von Kundgebungsteilnehmern demonstrativ fotografiert oder gar bedrängt, umzingelt werden. Aber sie halten das aus, wissen, die anderen sind ja da.

„Wir wollen nicht provozieren, wir wollen auch nicht selber Wut produzieren“, sagt Elisabeth Seyer. „Wir wollen einfach zeigen: Stendal ist eine schöne, bunte, offene, freundliche Stadt.“ Dass das Netzwerk dafür auch die Unterstützung der Politiker vor Ort gut gebrauchen könnte, versteht sich von selbst. Doch davon scheint nach dem anfänglichen Großaufgebot mit Sonderstadtrat und Bekenntnissen nicht viel übrig geblieben zu sein. „Wir sind doch als Stadt, als Gemeinwesen alle aufeinander angewiesen“, sagt Kleemann. Ein junger Mann in der Runde, der sich hier Dex* nennt, lädt dazu ein, das Netzwerk zu kontaktieren: „Wer uns anschreibt, bekommt auf jeden Fall eine Antwort.“ Er ist Mitglied des Bündnisses, weil sein Herz „für eine bunte und demokratische Welt“ schlägt, „wo Intoleranz und Hass keinen Platz haben“.

Der Umgang mit geflüchteten Menschen ist nur der Auslöser zur Gründung des Netzwerks „Herz statt Hetze“ gewesen. „Aber die Notwendigkeit unseres Tuns ist nicht vorbei, nur weil jetzt weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen“, sagt Juliane Kleemann. „Es geht um etwas viel Elementareres: Ob wir in der Lage sind, eine Gesellschaft zu gestalten, in der es normal ist, verschieden zu sein.“ Und sie kommt wieder zur Grundlage des Handelns von „Herz statt Hetze“ zurück, dem ersten Satz des Grundgesetzes: „Man kann über alles streiten, aber nicht über diesen einen Satz.“

*Die richtigen Namen der hier unter Pseudonym zitierten Personen sind der Redaktion bekannt.

Kontakt zum Netzwerk auf www.herz-statt-hetze-stendal.de oder www.facebook.com/hsstendal