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Erste Premiere Der Wunschmaschine auf der Spur

Der in dieser Spielzeit gegründete Spielclub am Theater der Altmark „Geschichtenmärker“ steht kurz vor seiner ersten Premiere.

Von Donald Lyko 07.05.2019, 17:57

Stendal l Mit ihren 80 Lebensjahren bringt Ulrike Schell jede Menge Lebenserfahrung mit – und ein. Sie bringt sie ein in die Inszenierung „Wunsch & Punsch“, mit der sich der neugegründete Spielclub „Geschichtenmärker“ erstmals einem Publikum präsentieren wird. Lebenserfahrungen, Lebensgeschichten – sie sind die Basis dessen, was die fünf Frauen zwischen 62 und 82 Jahren auf die Bühne bringen. Es wird diskutiert, bei den Proben etwas umgestellt oder hinzugefügt, eine Szene anders angegangen, neue Ideen vorgestellt. „Manchmal kommen mir auf dem Heimweg von der Probe ganz neue Einfälle“, erzählt Ulrike Schell. Selbst die Endproben sind immer noch ein Prozess. Denn „Wunsch & Punsch“ wird kein klassisches, komplett einstudiertes Stück sein, sondern in Teilen Improvisationstheater.

Dass am Ende des ersten Jahres ein Bühnenauftritt steht, war beim Start im September vorigen Jahres alles andere als klar. Am Anfang stand erst einmal nur die Idee, den erfolgreichen Spielclubs für Kinder, Jugendliche, Andersbegabte und junggebliebene Altmärker einen weiteren hinzuzufügen – einen speziell für Senioren. „Wir hatten anfangs ein sehr offenes Konzept. Es war uns allen nicht klar, wohin die Reise geht“, berichtet Theaterpädagoge Sebastian Clar, der zusammen mit Schau- und Puppenspielerin Claudia Tost den neuen Spielclub betreut. Eine Aufführung war nur eine Option, Lesung, Hörspiel oder Puppenspiel die anderen.

Zum ersten Treffen waren neun Senioren gekommen, acht Frauen und ein Mann. Geblieben sind fünf Frauen: Sybille Dratt, Gerhild Drechsler, Ulrike Schell, Erika Schmidt und Verena-Ramona Volk. Auch wenn es zu Beginn die Ansage gab, dass niemand auf die Bühne müsse, haben sich alle dafür entschieden. Und noch etwas war Sebastian Clar wichtig, gleich zu Beginn deutlich zu machen: „Wir wollen ein Club sein, in den sich jeder einbringen kann, auf der Bühne oder als Autor oder als Techniker.“

Los ging es mit Improvisationen, Sprach- und Schreibübungen. „Wir haben schnell gemerkt, dass ein großes Interesse an Sprache vorhanden ist“, erinnert sich Clar an die Zeit vor einigen Monaten. „Es ging auch sehr viel um Biografiearbeit“, fügt Ulrike Schell hinzu, die dazu vieles beizutragen hat.

Erst vor einem Jahr ist sie vom baden-württembergischen Schwetzingen nach Stendal gezogen. „Und ich bin noch immer total fasziniert“, sagt die 80-Jährige. Kennengelernt hatte sie die Hansestadt bei regelmäßigen Besuchen, denn ihre Tochter arbeitet in der Altmark, das Enkelkind lebt hier. Stichwort Tochter: Als die aus dem Gröbsten raus war, erzählt Ulrike Schell, habe sie sich um ihre eigene Bildung gekümmert, in der Abendschule das Abitur gemacht und dann BWL studiert. „Ich musste mir meine Bildung erkämpfen“, beschreibt sie eine Erfahrung, die viele Frauen ihrer Generation gemacht haben. Im Ruhestand hat sie weiter an der Bildung gearbeitet, hat 13 Semester im Seniorenstudium an der Mannheimer Uni besucht.

Sie selbst sei zwar ein passionierter Opernfan, sagt Ulrike Schnell, aber auch das Theater sei ihre Welt. Als Zuschauerin seit vielen Jahren mit Begeisterung, nun selbst aktiv als Theatermacherin. „Die Möglichkeit, sich dem Theater auf einem anderen Weg zu nähern“, antwortet sie auf die Frage nach der Motivation, bei den „Geschichtenmärkern“ mitzumachen. Und dann sei da noch die Neugier auf Neues.

„Die Teilnahme am Spielclub ist für mich durchaus belebend. Wir sind ganz unterschiedliche Personen, die zu einem Ganzen geworden sind, das hätte ich am Anfang nicht erwartet“, sagt die Neu-Stendalerin und fügt hinzu: „Das ist etwas, dass ich so in meinem Leben bisher nicht gefunden habe: Toleranz und jemanden so zu akzeptieren, wie er ist.“

In ersten Gesprächen ging es um die unterschiedlichen Biografien in Ost und West, um Frauen und Bildung und darum, „dass wir als Ältere wahrgenommen werden möchten“, sagt die 80-Jährige. Daraus entwickelte sich der Stoff für „Wunsch & Punsch“, die Geschichte über einen Geheimbund, der seit Jahren nach einer Wunschmaschine sucht.

„Teilweise haben wir übernommen, was bei den Improvisationen passiert ist“, erklärt Sebastian Clar. Woche für Woche wurde die Inszenierung wie ein Puzzle zusammengesetzt, seit einigen Wochen üben die fünf Frauen auf der Probebühne. Erst war eine Collage mit separaten Szenen im Gespräch, daraus geworden ist ein zusammenhängendes Stück aus verschiedenartigen Teilen.

Gezeigt wird es im Kleinen Haus des Theaters. „Der erste Teil steht relativ fest, der zweite wird improvisierend ablaufen“, sagt der Theaterpädagoge. Es wird auch musikalische Elemente geben und sketchartige Szenen. Clar: „Der Wunsch ist aber immer zen­tral, der Wunsch, mit ihm die Welt zu verändern.“

Ein Wunsch, den alle Beteiligten haben: Dass es mit den „Geschichtenmärkern“ weitergeht. „Wir sind für alles offen, auch wenn jemand ein Programmheft malen will“, lädt Sebastian Clar ein. Wer Lust hat, kann sich gern melden.