1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Sport verbindet, Sport integriert

Flüchtlingshilfe Sport verbindet, Sport integriert

Seit Mai dieses Jahres ist Frank Kruft Integrationslotse des Kreissportbundes Stendal.

Von Anne Toss 22.09.2016, 18:19

Stendal l Sport bildet die Vielfalt unserer Gesellschaft ab. Zu den Leistungsträgern von Vereinen, Verbänden und Kadern gehören schon längst auch Menschen mit Migrationshintergrund. Man denke – abseits vom Spitzenfußball – zum Beispiel an den Turner Marcel Nguyen, Tennisspielerin Andrea Petkovic oder Triathlet Faris Al-Sultan. Für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) steht fest, dass Spiel und Bewegung kulturelle Annäherung in Gang bringen können – das Programm „Integration durch Sport“ soll den Prozess unterstützen.

Ein Teil dieses Bundesprogramms sind auch der Kreissportbund Stendal (KSB) und Integrationslotse Frank Kruft. Sie sind Ansprechpartner vor Ort, treten mit Sportvereinen in Kontakt, setzen das Programm auf Kreis- und Stadtebene um. Wichtig ist Kruft, dass es das Bundesprogramm nicht erst seit der sogenannten Flüchtlingskrise gibt, es ging 2002 nämlich aus der Vorgängerinitiative „Sport für Alle – Sport mit Aussiedlern“ hervor. „Seit 2015 hat es natürlich wieder enorm an Bedeutung gewonnen“, sagt Kruft, „es entstand das Gefühl: Wir müssen etwas tun, bevor eine Parallelgesellschaft entsteht“.

Um das Szenario eines Nebeneinanderherlebens zu verhindern, sei es nötig, Geflüchtete und Vereine zusammenzuführen. Doch das ist mitunter gar nicht so einfach. „Die Flüchtlinge kennen einen Sportverein nicht. In ihren Heimatländern gibt es oftmals sogenannte Sportclubs. Dort kann man hingehen, wenn man Lust hat. Feste Strukturen gibt es nicht“, berichtet Kruft. Das führe auf Seiten der regionalen Vereine wiederum zu Unverständnis: „Für die Trainer in den örtlichen Vereinen ist das schwierig. Zuerst kommen fünf, sechs Leute, dann kommt vier Wochen niemand, und auf einmal stehen wieder zehn vor der Tür. Da ist für die Trainer natürlich die Grenze erreicht“, sagt Björn Landsmann, stellvertretender Geschäftsführer des KSB Stendal.

Um solche Hindernisse aus dem Weg zu räumen und gegenseitiges Verständnis zu fördern, reiche es laut Kruft daher nicht aus, Broschüren zu drucken und E-Mails zu verschicken. „Ich weiß ja, wie das ist: Als Vereins­oberer liest und antwortet man auf Mails nur, wenn sie einen selbst betreffen.“ Kruft ist selbst Vorsitzender des Wahrburger Carneval Clubs und engagiert sich im Behindertensportverein Stendal. Er sucht deshalb den persönlichen Kontakt zu den Vereinen in der Region.

Für die Geflüchteten kann das gemeinsame Sporttreiben in vielerlei Hinsicht positiv sein: Sie erleben Zusammengehörigkeit, knüpfen Kontakte und haben die Möglichkeit, die deutsche Sprache zu erlernen. Allerdings ist es für den KSB nicht einfach, Sportvereine darin zu bestärken, sich für die Geflüchteten im Landkreis zu öffnen. „Oft bekomme ich zu hören, dass man nichts investieren will“, berichtet Kruft. „Aber im persönlichen Gespräch stellt sich dann heraus, dass die Vereine schon Interesse daran haben, Flüchtlinge aufzunehmen. Aus Pools können ja zum Beispiel auch Talente gesichtet werden, Vereinsmitglieder generiert werden.“

Doch dann bleibe für die Vereine immer noch die Betreuung – zum Beispiel einer offenen Sportgruppe – als Hindernis. „Hier sind die Hürden nun aber etwas tiefer. Man braucht beispielsweise keinen lizenzierten Übungsleiter, vorrangig ist erst einmal die soziale Kompetenz ausschlaggebend“, erläutert Kruft.

Außerdem müssten Vereine auch für Konflikte sensibilisiert werden, die sich aus den Kulturen der Geflüchteten ergeben. „Trainer sollen wissen, warum etwas nicht funktioniert“, sagt Kruft, „zum Beispiel, wenn man einen Sunniten und einen Schiiten in dasselbe Team einteilt.“ Integration brauche eben viel Zeit und Toleranz, erfordere, dass man aufeinander zugeht. „Aber ohne, dass man selbst bestimmte Werte über Bord schmeisst“, sagt Kruft.

Doch der KSB stößt auch auf Hindernisse, die nicht durch Sensibilisierung oder persönliche Gespräche aus dem Weg zu räumen sind. „Es gibt Sportvereine, die sagen uns, dass sie es sich nicht auf die Fahne schreiben wollen, ein Stützpunktverein für Integrationsarbeit, also für Ausländer zu sein. Sonst würden etliche Mitglieder aus dem Verein austreten“, berichtet Landsmann. Hier können man nur versuchen, langfristig die Einstellung zu verändern.

Bisher hat Frank Kruft 20 Vereine aus dem Landkreis kontaktiert. Ziel ist es, eine Übersicht zu erstellen, die jene Vereine auflistet, die bereit sind, etwas zu machen. „Bisher fußt ja vieles auf persönlichen Kontakten, Sozialarbeiter kennen jemanden im Sportverein, an den sie die Geflüchteten verweisen“, erklärt Björn Landsmann. Aber viele würden eben nicht wissen, wo sie sich melden können. Hier soll die Übersicht eine erste Hilfestellung sein. Und angefragt wurden keinesfalls nur Fußballvereine: „Es geht um den Breitensport. Da ist sowohl Handball, Reiten, Judo, Badminton oder Boxen dabei“, berichtet Kruft.

„Die eigentliche Lösung für die Aufgabe heißt Netzwerkarbeit“ sagt Landsmann, „und die ist eben mühselig und zeitaufwendig.“ Zusammen mit bereits etablierten Netzwerken wie der Stendaler Migranteninitiative (SteMi) möchte man nun versuchen, an die geflüchteten Familien heranzutreten. „Wir bespielen alle Kanäle – vom Jobcenter über die Ausländerbehörde bis hin zum Imam der Gemeinde“, berichtet Kruft.

Als langfristiges Ziel hat es sich der KSB gesetzt, Migranten als Übungsleiter auszubilden. „Wenn zum Beispiel eine Frau eine Führungsposition im Sport hat, was wäre das für ein Zeichen für alle Mädchen“, fügt Landsmann an. Und auch wenn schlussendlich ein Asylantrag nicht genehmigt wird, so sei die Mühe doch nicht vergebens gewesen. „Das ist kein rausgeschmissenes Geld, die nehmen unsere Kultur und Werte ja trotzdem mit zurück“, argumentiert Kruft.

Das Bundesprogramm ist erst einmal bis zum 31. Dezember befristet. „Es wäre schade, wenn es nicht weitergeht. Immerhin haben wir gerade viel angeschoben“, sagt Landsmann. Es sei ja wohl auch klar, dass sich nicht alles innerhalb weniger Monate umsetzten lasse.