1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Mit dem Fliegervirus infiziert

Fluglehrer Mit dem Fliegervirus infiziert

Ulrich Heißig hat vor drei Jahren sein Hobby zum Beruf gemacht: Er ist jetzt in Stendal Fluglehrer für Ultraleichtflugzeuge.

Von Donald Lyko 09.09.2016, 03:00

Stendal l Wer sich mit einem Fluglehrer auf eine Tasse Kaffee verabredet, dem müssen zwei Dinge klar sein: Im Flugzeug gibt es das koffeinhaltige Heißgetränk nicht, das wird vorher oder danach getrunken. Und: Schon recht schnell kommt die Situation, in der der Fluglehrer zu eben diesem wird und sein Gesprächspartner zum Flugschüler. Punkt eins verschieben wir an diesem Vormittag auf danach, denn gerade ist die Thermik für den Flug sehr gut.

„Ich mache mit Ihnen mal einen Schnupperflug für Anfänger“, begrüßt mich Ulrich Heißig und lotst mich auf den Pilotensitz. Das höfliche Sie ist schnell Geschichte, „wir Flieger duzen uns“. Den Vorab-Check seines Ultraleichtflugzeuges (UL) vom Typ C 42, Kennung D-MXIC, hat der Fluglehrer schon erledigt. Es kann also gleich losgehen. Während wir zur Startbahn rollen, gibt es die erste Theoriestunde mit der Überschrift: Das alles gehört ins Cockpit, diese Instrumente werden benötigt. Wenn Ulrich Heißig Schritt für Schritt alles erklärt, spürt man seine Begeisterung für das Fliegen.

„Im Frühjahr 2000 war ich hier bei einem Flugplatzfest und habe die C 42 auf das Flugfeld rollen und starten gesehen. Da habe ich mir gesagt: Das willst du auch können“, erzählt der 62-Jährige, als wir nach erfolgreichem Start ruhig über Stendal fliegen. Sicher, als Kind habe er wie die meisten Jungen vom Beruf Pilot geträumt, mehr aber auch nicht.

Nachdem er mit dem Flugvirus infiziert war, machte der heute 62-Jährige, der in Rochau wohnt, schnell Nägel mit Köpfen. Schon im Juni 2000 begann er seine Ausbildung, im September hatte er den Flugschein für Ultraleichtflugzeuge. „Ich habe schnell gemerkt, dass es wie eine Sucht ist.“ Eine Sucht im positivsten Sinne, für die Uli Heißig gern andere begeistern möchte. Darum hat er gleich im Folgejahr, also 2001, einen Fluglehrer-Lehrgang absolviert. Seither bildet er Flugschüler im Ultraleichtflugzeug aus. Erst als Hobby, seit seiner Pensionierung im Jahr 2013 betreibt der ehemalige Polizist mit seiner Firma Heifly in Stendal eine Flugschule als Partner der Flugsport-Berlin GmbH. „Ich bilde hier die Schüler aus Stendal und Umgebung in Theorie und Praxis aus.“ Er bietet aber auch Rundflüge und Charterflüge an.

Kurz müssen wir das Gespräch unterbrechen, weil Uli Heißig auf den Funkverkehr achten muss. Ich höre über mein Headset zwar mit, aber verstehen? Mein Fluglehrer fasst es mal kurz mit einem Fingerzeig zusammen: „Da, etwa drei nautische Meilen vor uns, fliegt eine Transall.“ Nautische Meile, hat das nicht eher was mit Seefahrt zu tun? Mitnichten, denn das habe ich gleich zu Beginn gelernt: Eine Seemeile beträgt 1,852 Kilometer und wird auch in der Luftfahrt als Entfernungsangabe genutzt.

Vor uns der Bundeswehrflieger, unter uns ein ICE. Aus etwa 700 Metern Höhe und bei einer Fluggeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern denkt man unweigerlich an eine Modelleisenbahn.

Mittlerweile haben wir Tangermünde erreicht, die Elbe – huch, wie wenig Wasser ist denn da drin? – ist schon gut zu sehen. „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht“, sagt der 62-Jährige. Nicht zum ersten Mal übrigens. Denn der gebürtige Magdeburger, der in der Jugend begeisterter Fechter war, kam 1978 in die Altmark und wurde hauptberuflich Fechttrainer bei Dynamo Stendal. Nach der Wende wechselte er wieder in den Polizeidienst.

Als ob Wechsel das passende Stichwort ist, nimmt Uli Heißig die Hand vom Steuerknüppel: „So, jetzt kannst du mal übernehmen.“ Zugegeben, etwas zaghaft führe ich die Ansagen aus: erst den Knüppel leicht nach hinten gezogen, die C 42 geht mit der Nase leicht nach oben. „Und jetzt mal etwas nach links, wir fliegen eine Kurve an Tangermünde vorbei die Elbe entlang“, kommt die nächste Anweisung – meine Hand packt schon nicht mehr ganz so zaghaft zu. Wahnsinn, ich fliege selbst!

Kurz übergebe ich noch mal an Uli (wir sind ja jetzt per Du). Wenn ich schon mal oben bin, dann mache ich gleich Fotos von Tangermünde, der Elbe und von Arneburg – die Sicht ist heute einfach toll. Sicht, die muss der UL-Pilot haben. „Wir sind nur im Sichtflug unterwegs, also bei Tageslicht. Es geht ums Sehen und Gesehenwerden“, erklärt mein Fluglehrer, der selbst schon zirka 8700 Landungen absolviert hat.

Wer nach einem Schnupperflug Lust bekommen hat, selbst den Flugschein für Ultra­leichtflugzeuge zu machen, was hat der vor sich? Zirka 60 bis 80 Theoriestunden und 30 Flugstunden, wovon die ersten 10 bis 15 Stunden hauptsächlich für das Landetraining genutzt werden, erklärt Heißig. Wenn ein zweiter Fluglehrer nach einer Überprüfung sein Okay gibt, kann der erste Alleinflug starten. Mindestens 16 Jahre muss man alt sein, nach oben gibt es keine Altersgrenze. Lediglich ein fliegerärztliches Tauglichkeitszeugnis muss vorliegen. Etwa 5000 Euro kostet die Ausbildung zum UL-Flieger.

Der Schein kann in drei, aber auch in zwölf Monaten erworben werden, „das hängt von der freien Zeit der Schüler ab. Die Absprachen erfolgen individuell“, erklärt der 62-Jährige. Zur Ausbildung gehören drei Abschnitte: Grund-, Sicherheits- und Langstreckenausbildung.

Mittlerweile haben wir Kurs auf den Borsteler Flugplatz genommen. Nach der Platzrunde und vom Tower erteilter Landeerlaubnis landet Uli Heißig auf der Rasenbahn. Und noch immer gibt es Informationen: 472,5 Kilogramm ist das maximal zugelassene Gewicht der C 42, zirka 290 Kilogramm davon hat allein das Flugzeug, der Rest sind die Passagiere, Treibstoff und eventuell Gepäck.

So, und jetzt gibt es erst einmal einen schönen Kaffee im Flugschul-Büro. Und es gibt eine Antwort von Uli Heißig auf die Frage, wie er – mal abgesehen vom Schnupperflug – für die Fliegerei begeistern würde. „Ich sage immer: Eine Stunde Fliegen ist wie eine Woche Urlaub.“ Und nach wenigen Sekunden fügt er hinzu: „Die Freiheit über den Wolken ist tatsächlich grenzenlos. Man kann beim Fliegen total entspannen.“ Der Rochauer entspannt bei gelegentlichen Flügen an die Ostsee, „in 75 Minuten ist man in Wismar“. Im Sommer über die Ostseeküste zu fliegen oder an klaren Wintertagen zum Brocken, das sind dann immer die kleinen Urlaube für den 62-Jährigen.