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Friedhof Mehr als nur Grabesstille

Der Friedhof als Ort des Lebens und Lachens? Mit einem Aktionstag sollen Tabus gelöst werden - Stendal macht mit.

Von Nora Knappe 07.09.2018, 11:39

Stendal l Man kommt sich vielleicht komisch vor, wenn man einfach nur so über den Friedhof spaziert. Oder dort, das Gesicht gen Sonne gereckt, träumend auf einer Bank sitzt. Oder beim Plaudern zu zweit die frische Luft, das Vogelgezwitscher, die Herrlichkeit der Natur genießt. So ganz ohne Trauer und Traurigkeit. Nachvollziehbar, dass man das unangemessen findet. Aber all das darf man – und soll man auch. Dazu will der Tag des Friedhofs ermuntern. Seit 2001 gibt es ihn in Deutschland, Stendal beteiligt sich in diesem Jahr zum ersten Mal.

„Wir wollen anfangen, den Friedhof mehr ins Leben zu rücken, ins Bewusstsein nicht nur derer, die ihn ohnehin aufsuchen“, erklärt Silke Pidun vom Amt für Technische Dienste den Beweggrund zum Mitmachen am 15. September (siehe Infokasten) und ergänzt aus Überzeugung: „Zumal wir einen sehr schönen Friedhof haben.“

Auf den insgesamt 160.000 Quadratmetern – über die Hälfte davon umfasst der Friedhof III, auf dem die Veranstaltung stattfindet – befinden sich eben nicht nur Gräber, Denkmäler und Begräbniswiesen. Dort wächst auch prachtvolles Grün heran, finden Vögel, Kleinlebewesen und Insekten Lebensräume und Rückzugsnischen. Aber eben auch der Mensch kann und darf sich hierher zurückziehen – ob nun in Trauer oder nicht.

Mit dem diesjährigen Motto des bundesweiten Friedhofstages „Leben – Lachen – Freude“ hadern Silke Pidun und die verschiedenen Mitwirkenden etwas, legt es doch den Fokus recht schlagseitig auf das, woran man nun nicht unbedingt als Erstes denkt, wenn man „Friedhof“ hört. Aber genau dieses leicht Provokante soll helfen, dem Friedhof das allzu Pietätvolle, Ernste, Schwere zu nehmen. Denn Friedhof, so umreißt Pidun das Anliegen, sei „nicht nur Ort der Trauer, sondern auch ein Treffpunkt. Hier kann man Lebensgeschichten und Lokalgeschichte sehen und aufarbeiten.“

Und man könne miteinander ins Gespräch kommen, ergänzt Ulrich Paulsen, der als Hospiz-Geschäftsführer und Klinikseelsorger viele Facetten im Umgang mit dem Sterben kennenlernt. Er habe es schon oft beobachtet oder erzählt bekommen, dass Hinterbliebene beim Besuch der Gräber mitein­ander ins Gespräch kommen. „Dafür wäre es schön, wenn es mehr Bänke gäbe“, hat er gleich eine Anregung ans Amt.

Es wird also durchaus schon längst getan, wozu der dritte Sonntag im September ermuntern will: den Friedhof als Ort der Begegnung zu begreifen und anzunehmen. Für viele ist es dennoch ein Ort der Tabus oder ein Tabu an sich. Das erfahren zum Beispiel die Akteure des Trauernetzwerks Altmark und vom Hospiz immer aufs Neue – und setzen dem mit Programmen wie „Hospiz macht Schule“ oder dem Trauerklettern etwas Positives, Anregendes entgegen.

Sterben wird jeder – und doch scheuen sich viele, sich mit dem absehbaren eigenen Tod oder dem eines nahen Menschen frühzeitig zu befassen. Auch dafür will man mit dem Tag des Friedhofs sensibilisieren. Bestattungshäuser stellen sich vor, eine Friedhofsführung öffnet den Blick für alle möglichen Begräbnisarten und Grabgestaltungen.

Klinikseelsorgerin Angelika Beyer nimmt Besucher auch gern mit zum „Sternenkinder“-Gräberfeld, wo totgeborene Kinder bestattet werden. „Die Betroffenen sind sehr dankbar, dass es das gibt“, ist Beyers Erfahrung. „Mit der Bestattung behalten die Kinder ihre Würde.“