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Gericht Bereitschaftsarzt muss einschreiten

Eine Mitarbeiterin der Leitstelle beider Altmarkkreise musste wegen unterlassender Hilfeleistung vor das Amtsgericht Stendal.

Von Wolfgang Biermann 15.12.2020, 17:57

Stendal l Keinen Freispruch, aber eine Einstellung des Verfahrens wegen „geringer Schuld“ gab es in einem emotionsgeladenen Prozess am Amtsgericht in Stendal. Eine Disponentin der Integrierten Leitstelle für den Brand-, und Katastrophenschutz sowie Rettungsdienst beider Altmarkkreise in Stendal war der unterlassenen Hilfeleistung angeklagt. Sie sollte es laut Staatsanwaltschaft am Abend des 16. Juni vorigen Jahres verabsäumt haben, Notarzt und Rettungswagen (RTW) zu einer Patientin östlich der Elbe zu schicken.

Eine 24-Jährige hatte über Symptome geklagt, die auf einen Herzinfarkt hindeuteten: Schmerzen in der Brust und im linken Arm. Die junge Frau hatte zunächst den diensthabenden Bereitschaftsarzt der Kassenärztlichen Vereinigung angerufen. Der hatte ihr geraten, sich sofort an die Rettungsleitstelle in Stendal zu wenden und einen Notarzt anzufordern. Das Telefonat zwischen der Patientin und der angeklagten Disponentin war aufgezeichnet worden, wie alle Notrufe.

Fazit des abgespielten Gesprächs: Nach Abarbeitung eines vorgegebenen Fragenkatalogs empfahl die Angeklagte erst den Bereitschaftsarzt. Als die 24-Jährige sagte, dieser habe sie an die Leitstelle verwiesen, bot die Disponentin einen RTW an, der sie in ein Krankenhaus bringen könne. Darauf verzichtete die Anruferin. Kurze Zeit später rief der Bereitschaftsarzt in der Leitstelle an und forderte sehr aufgebracht den sofortigen Einsatz von Notarzt und RTW. Im Nachhinein ergab die Untersuchung der Patientin im Krankenhaus keinen Herzinfarkt.

Richter Rainer Mählenhoff sagte zur Angeklagten: Ihre Sensibilität sei „nicht so hoch gewesen, wie sie hätte sein sollen“. Letztlich habe sie der Patientin die Entscheidung allein überlassen. Sie beteuert: „Es tut mir sehr leid.“

Die examinierte Krankenschwester und ausgebildete Rettungssanitäterin versieht nach eigenen Angaben seit fast 30 Jahren ihren Dienst als Disponentin. „Mein Job ist meine Berufung.“ Aus ihrer Erfahrung heraus hätte sie im Telefonat mit der Patientin „eigentlich nichts Lebensbedrohliches festgestellt“.

Die Entscheidung darüber oblag aber nicht ihr, wo doch der Bereitschaftsarzt die Patientin eindeutig an die „112“ verwiesen habe, sagte Richter Mählenhoff. „Lieber drei Mal den RTW zu viel, als einmal zu wenig“, forderte er.

Ihr Dienstherr gebe da aber nur einen „begrenzten Spielraum vor“. Darum hätte es auch schon arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen gegeben, sagte die Disponentin.

Sie könne ihren Vorgesetzten ja mal zu ihm schicken. Er würde ihm dann im Sinne des Gesetzes erklären, wer Diagnosen stellen darf und wer nicht, so Richter Mählenhoff und schloss die Verhandlung.