1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Angezeigt, aber nicht ausgesagt

Häusliche Gewalt Angezeigt, aber nicht ausgesagt

Eine Stendalerin verweigert nach wie vor die Aussage gegen ihren Ehenmann, der sie schon mehrfach mutwillig verletzt haben soll.

Von Wolfgang Biermann 17.09.2019, 23:01

Stendal l Offenbar ohnmächtig müssen Polizei und Justiz mitverfolgen, wie eine Stendalerin womöglich sehenden Auges in ihr eigenes Unglück rennt.

Das Amtsgericht Stendal hat in der Vorwoche zum wiederholten Mal ihren getrennt von ihr lebenden Ehemann vom Vorwurf der Körperverletzung und der versuchten Nötigung zu Lasten der Staatskasse, also des Steuerzahlers freigesprochen.

Die Ehefrau hatte laut Staatsanwaltschaft selbst am 19. Juli vergangenen Jahres gegen 4 Uhr morgens die Polizei gerufen und Anzeige erstattet, weil der 28-Jährige sie gemäß Anklage im alkoholisierten Zustand mit der flachen Hand gegen den Oberbauch geschlagen und die Drohung ausgestoßen haben soll, er würde ihr den „Kopf abhacken“, wenn sie ihn verließe.

Kurz vor dem Prozess informierte sie das Gericht, dass sie die Anzeige gegen ihren Mann zurücknehme und als Ehefrau vom ihr zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen werde.

Nicht zum ersten Mal. Schon 2016 berichtete die Volksstimme über einen Prozess am Amtsgericht, in dem die Enddreißigerin, damals frisch verlobt mit dem Angeklagten, ebenfalls nicht aussagte.

In einer Wohnung über einer Gaststätte in Stendal soll er sie im April 2015 malträtiert haben. Ein Gast aus der Lokalität eilte ihr zu Hilfe, wie er im Prozess als Zeuge 2016 aussagte.

Nach Verlesung der Anklage im aktuellen Prozess wurde die mehrfache Mutter in Elternzeit als Zeugin aufgerufen. Wie von ihr angekündigt, schwieg sie. „Einen anderen Zeugen haben wir nicht“, sagte Richter Thomas Schulz.

Möglicherweise gebe es einen, doch der sei derzeit „unbekannten Aufenthalts“. Da half es auch nichts, dass die Frau vor einiger Zeit Richter Schulz selbst angesprochen und von ihren Verletzungen erzählt hat, wie dieser im Prozess sagte.

Ebensowenig durften ihre vor der Polizei gemachten Angaben verwertet werden. Diesbezüglich herrsche Beweismittelverbot. Aussagen dürften nun mal nicht verwendet werden, wenn sich jemand nachträglich auf das ihm zustehende Zeugnisverweigerungsrecht berufe.

Zweck dieses Rechts sei der Schutz von Zeugen vor möglichen Konfliktsituationen, die sich – wie in diesem Fall – aus Loyalität gegenüber Ehepartnern und der Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage ergeben würden, erläuterte Richter Schulz.

Damit ist das Ende der Fahnenstange aber noch nicht erreicht. Denn aktuell befindet sich der Angeklagte in U-Haft, aus der er auch zum Prozess vorgeführt wurde.

Seine Frau soll im Juni unter ungeklärten Umständen vom Balkon ihrer Wohnung gefallen sein, hatte Thomas Kramer, Sprecher der Staatsanwaltschaft, auf Nachfrage bestätigt. Ein Prozesstermin ist noch nicht bekannt.