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Handwerk Mit einem Verlobungsring fing es an

Am 17. Oktober feiert die Stendaler Goldschmiede Roever ihr 175-jähriges Bestehen.

Von Donald Lyko 14.10.2016, 02:00

Stendal l Ein Verlobungsring aus 14-karätigem Gold für Kutscher Brand aus Krevese – das war der erste Auftrag für Wilhelm Schreck, kurz nachdem er als 26-Jähriger am 17. Oktober 1841 im Haus Lehmstraße 613 (heute Winkelmannstraße 18) seine Goldschmiede eröffnet hatte. 175 Jahre ist das nun her, den Familienbetrieb gibt es noch immer. Wilhelm Schreck hatte ihn an seinen Schwiegersohn Ernst Roever übergeben, dem dessen Sohn Oskar, sein Enkel Oskar und sein Urenkel Detlef folgten. Er führt seit 2002 in fünfter Generation die Goldschmiede, die seit 1848 in der Marienkirchstraße zu finden ist.

Wer dieser Tage das Ladengeschäft betritt oder ab Montag in eines der Schaufenster schaut, kann vieles aus der Geschichte der Goldschmiede entdecken. In Vitrinen ist das erste Geschäftsbuch von 1841 bis 1862 zu sehen, ein Original-Firmenschild aus den Anfangsjahren, ein Geschäftsalbum, eine Gaslampe aus der Werkstatt (die übrigens schon im Jahr 1936 wegen besserer Lichtverhältnisse ein Glasdach bekommen hatte), aber auch Kugelpunzen, Löffeleisen, Gravierkugel, Hammer, Lötrohr, Blasrohr und vieles andere aus der Werkstatt eines Goldschmiedes.

„Das ist hier aber kein Museum, die Werkzeuge und Materialien benutze ich noch heute in der Werkstatt“, sagt Detlef Roever. Wenn er für einen aktuellen Auftrag etwas benötigt, dann nimmt er es aus der Vitrine. „Das Handwerk hat sich vom Mittelalter bis heute nicht verändert“, sagt der Goldschmiedemeister. Sicher, irgendwann gab es Gas und Strom, um Geräte zu betreiben, aber die meisten Arbeiten sind feine mit der Hand – und eben diese Techniken führt der Goldschmied von heute nicht anders aus als seine Vorfahren. Erlernt haben die fünf Firmeninhaber ihr Handwerk teils im väterlichen Betrieb, alle aber auf der Wanderschaft.

„Die Technikbegeisterung der Kinder ist in unserer Familie schon immer gefördert worden“, nennt Detlef Roever einen Grund, warum es in jeder Generation einen Nachfolger für die Firma gab. Für ihn selbst habe sich die Frage, beruflich etwas anderes zu machen, eigentlich nie gestellt. Als Kind baute er Schiffsmodelle, mit Hilfe der Lehrlinge und Gesellen fertigte er in der väterlichen Werkstatt zum Beispiel Geschenke für seine Mutter an. Eine Zeit, die erste Fertigkeiten vermittelt und die Lust geweckt hat auf einen Beruf, für den Detlef Roever heute noch brennt. Wenn er durch seine Ausstellung zum Jubiläum, die er ein Jahr vorbereitet und für die er zahlreiche Stücke zusammengetragen hat, führt, spürt man sofort: Da steht einer, der sein Handwerk liebt.

In der vergangenen Woche hatte er Innungsmitglieder und vor allem den Berufsnachwuchs nach Stendal eingeladen, denn eines ist Detlef Roever wichtig: „Die Handwerkstradition darf nicht aussterben.“ Darum ruht seine Hoffnung auf der sechsten Generation. Tochter Laura (19) und Sohn Tobias (18) haben in etlichen Freizeitstunden schon handwerkliches Geschick und große Ausdauer bewiesen. Darum zeigt ihr Vater auch einige Arbeiten von ihnen in seiner Ausstellung. „Aber noch haben sie Zeit, sich einen Berufswunsch ihrer Wahl zu erfüllen“, sagt der Goldschmied.

Die Herstellung und Reparatur von Ringen und Schmuck haben im Hause Roever nach wie vor einen hohen Stellenwert, doch in 175 Jahren hat sich in der Produktpalette einiges geändert. Gehörte es früher zum Werkstattalltag, Löffel, Brillengestelle oder sogar Emaillezähne herzustellen oder zu reparieren, sind es heute zum Beispiel Karnevalsorden, die nicht nur in Sachsen-Anhalt sehr gefragt sind, oder Gravuren auf Pokalen. Auch zu diesem Kapitel kann Detlef Roever einiges erzählen: „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden aus alten Fünf-Mark-Stücken der Vorkriegszeit Broschen gemacht.“

Dies und mehr erzählt der Goldschmiedemeister in einer Präsentation auf dem Bildschirm. Sie erinnert unter anderem an die nicht ganz einfache Zeit für Handwerker in der DDR. So musste Oskar Roever jun. im Jahr 1976 ein einjähriges Studium in Marxismus-Leninismus absolvieren, damit er seinen Sohn ausbilden durfte. „Davor hatte er schon viele andere ausgebildet, bei mir ging es plötzlich nicht mehr“, sagt Detlef Roever. Weil sein Vater dies auf sich nahm, gehört das Kapitel „Der alte Meister auf der Schulbank“ für ihn ganz selbstverständlich in die erzählte Familiengeschichte, die auch spannende Zeit- und Handwerksgeschichte ist.