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Hansa-Brauerei Bei Biermangel schimpften alle

Mehr als drei Jahrzehnte gehörte Gustav Steinecke zur Belegschaft der Stendaler Hansa-Brauerei.

Von Thomas Pusch 27.04.2019, 15:00

Stendal l Es klingt ganz einfach. Laut dem Deutschen Reinheitsgebot von 1516 gehören in ein Bier die Zutaten Hopfen, Malz, Hefe und Wasser. Das klingt aber nur einfach, sagt Gustav Steinecke. Um Brauer zu werden, müsse man eine umfangreiche Ausbildung absolvieren. Der Stendaler weiß, wovon er redet. Von 1959 bis 1962 lernte er in der Hansa-Brauerei, war dort bis zu deren Ende im Jahr 1990 tätig.
Zum Brauen ist er mehr oder weniger zufällig gekommen. „Nach dem Schulabschluss mit der zehnten Klasse an der Diesterweg-Schule musste ich ja einen Beruf erlernen“, sagte er im Gespräch mit der Volksstimme. Seine erste Wahl, Chemiefaserfacharbeiter, sei aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen. Bei der Abschlussfeier an seiner Schule traf er einen Brauereimitarbeiter und der überzeugte ihn vom Brauberuf.
Bier hat Steinecke damals noch nicht getrunken, aber der Brauprozess hat ihn fasziniert. Weil es auch so viele Faktoren gibt, die beachtet werden müssen. „Es werden Materialien aus der Natur verwendet, die ganz spezifisch behandelt werden müssen“, erklärte er. Es komme auf Temperaturen und auf Zeiten an. Vereinfacht gesagt wird zunächst das gelagerte Malz geschrotet, im Sudhaus dann mit Hopfen und Wasser zur Würze. Nach der Zugabe von Hefe gärt das sogenannte Jungbier im offenen Bottich, bevor es in Lagertanks gefüllt wird. Erst nach einer bestimmten Zeit gelangt es dann in Bierkeller und Ausschank.
Ein durchaus komplizierter Vorgang, den Steinecke auch nicht mit dem Einkochen von Marmelade verglichen wissen will, wie es jüngst Norman Schönemann, der das Stendaler „Taubentanz“ herstellt, in der Volksstimme tat. Auch dass er gesagt hat, „dass man den Beruf entweder in drei Jahren lernt oder zwei Bücher liest“, hat er ihm übelgenommen – wenn auch Schönemann diese Alternative nicht ganz ernstgemeint hat. Für Steinecke ist die Braukunst aber eine durch und durch ernsthafte Angelegenheit.
Zusammen mit seinem Kollegen Bernd Dümecke hat er in einem Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Brauwesens einen Artikel über die Hansa-Brauerei verfasst. Darin erfährt der Leser, dass Stendal 1314 das Recht erhielt, Malz herzustellen und Bier zu brauen. Die Hansa-Brauerei selbst entstand erst über 600 Jahre später, am 28. Februar 1920 durch den Zusammenschluss der Actien-Bierbrauerei Bürgerliches Brauhaus und der Berg-Brauerei.
Vor Kriegsbeginn waren dort 70 Arbeiter und 13 Angestellte beschäftigt. Nach dem Kriegsende waren kurze Zeit amerikanische Truppen in der Stadt, die in der Brauerei eine Panzerwerkstatt einrichteten und den böhmischen Hopfen beschlagnahmten. Nach ein paar Wochen kamen Engländer, bevor am 2. Juli 1945 sowjetische Truppen die Besatzung übernahmen.
Als Gustav Steinecke in der Brauerei anfing, betrug der Ausstoß etwa 70?000 Hektoliter jährlich. Ein Höchststand der Mitarbeiter wurde in den 70er Jahren mit über 200 Beschäftigten erreicht. Steinecke war gerne Mitarbeiter der Brauerei – meistens jedenfalls. „Wenns kein Bier gab, haben alle geschimpft“, erinnerte er sich. Das waren dann natürlich die unangenehmeren Zeiten. Da habe sich dann die Abteilung Versorgung des Rates des Kreises mit der Brauerei in Verbindung gesetzt und Fragen gestellt. Probleme gab es auch, wenn die Haltbarkeit des Biers nicht zuverlässig war. „Das hatte zumeist Kapazitätsgründe“, erläuterte Steinecke. Da die Lagertanks nicht immer ausgereicht hätten, sei das Bier dann zu früh in den Bierkeller gekommen. Vielleicht hätte es wohl doch besser eine Woche länger gelagert werden sollen.
Auf die Wende folgte das Aus der Brauerei, ab 1990 diente das Areal nicht mehr der Bierproduktion. Für Steinecke war es an jenem Standort aber dennoch noch nicht vorüber. Coca Cola hatte übernommen, dort eine Vertriebsstelle eingerichtet. So wurde der heute 76-Jährige weiterbeschäftigt. Natürlich hatte ihm die Kunst des Brauens gefehlt, aber das war immer noch besser als gar nichts zu haben, so wie viele seiner Kollegen. Er will aber mit seinem Schicksal auch nicht hadern. „Es ist schon alles gut so gewesen“, sagte er mit etwas Wehmut in der Stimme, in Erinnerungen an die alten Brauerzeiten.