Inklusion Ein stiller Erfolg

Drei Schwerbehinderte arbeiten mittlerweile in der Landbäckerei in Stendal, Annika Amberg ist eine von ihnen.

Von Anne Toss 06.05.2017, 01:01

Stendal l Langsam kommt die Brötchenanlage, an der Annika Amberg arbeitet, ins Laufen. Mit wenigen Tastendrücken passt sie die Einstellungen an, dann wird Brötchen für Brötchen von ihr gewogen und, falls nötig, Teig dazugegeben oder weggenommen. Renate Heiden, Abteilungsleiterin in der Landbäckerei Stendal und Ambergs Vorgesetzte, schaut der 36-Jährigen ab und an über die Schulter. „Am Anfang hatten wir schon ein bisschen Angst, wir kannten das ja nicht“, sagt Heiden, „jetzt würde ich sie aber nicht mehr hergeben wollen.“

Annika Amberg ist nämlich gehörlos. Hätte sie keinen Job, würde auch sie in der Statistik der Agentur für Arbeit auftauchen – unter der Rubrik Schwerbehinderte. Markus Nitsch, Chef der Stendaler Arbeitsagentur, sieht sie und die zwei weiteren Beschäftigten mit Behinderung in der Landbäckerei als ausgezeichnete Beispiele dafür, dass Integration von Schwerbehinderten in den Arbeitsmarkt gelingen kann.

„Wir erleben zurzeit eine Trendwende. Bisher ist die Anzahl schwerbehinderter Arbeitsloser nicht in gleichem Maße gesunken wie die der gesunden Arbeitslosen“, sagt Nitsch. Nun sinke sie sogar prozentual stärker. Im Vergleich zum Vorjahr ist in der Altmark die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen um zwölf Prozent gesunken.

Markus Nitsch nahm den europaweiten Aktionstag zur gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben, der am 5. Mai stattgefunden hat, zum Anlass, um über die Chancen für behinderte Menschen am Arbeitsmarkt zu informieren. Mitarbeiter der Landbäckerei gaben dabei ihre Erfahrungen aus erster Hand weiter.

„Wir haben bereits 2015 ausgelotet, wo die Möglichkeiten eines Einsatzes von schwerbehinderten Mitarbeitern bei uns im Unternehmen sind“, berichtet Personalleiterin Claudia Schulz. In engem Austausch stand sie dabei mit Karen Müller, die als Reha-Spezialistin für den Arbeitgeber-Service der Agentur für Arbeit und des Jobcenter Stendal tätig ist. „Durch die Beratung von Unternehmen versuchen wir, für diese spezielle Klientel den Weg zu öffnen“, sagt Müller.

Dennoch: Die Hemmschwelle bei Unternehmen, einen Schwerbehinderten einzustellen, ist groß. „Oft denken die Arbeitgeber, dass der Mitarbeiter öfter krank wird oder schwerer wieder entlassen werden kann“, sagt Markus Nitsch. Und es passiere auch, dass Einzelfälle verallgemeinert werden. „Die Unternehmer tauschen sich natürlich untereinander aus. Wenn dann einer wirklich schlechte Erfahrungen gemacht hat, heißt es oft: ‚Das ist immer so‘.“

Annika Amberg war anfangs selbst sehr skeptisch, ob ihr der Einstieg in ihre neue Arbeit gelingen würde. Denn ausgebildet wurde sie ursprünglich im Bereich des Siebdrucks. Gebärdensprachdolmetscherin Maria Hamel begleitete sie daher intensiv während der Einlernphase und war auch bei der jetzigen Gesprächsrunde vor Ort.

„Da ich einen anderen Beruf hatte, habe ich mich gefragt: ‚Wie machst du das? Schaffst du das?‘ Aber dann habe ich mich durchgekämpft“, sagt Amberg. „Ich habe mich sehr gefreut, dass es auch geklappt hat.“ Mittlerweile kann sie eine Maschine bereits selbstständig bedienen, an einer zweiten wird sie zurzeit eingelernt.

Abteilungsleiterin Renate Heiden berichtet, dass es manchmal durchaus auch zu Missverständnissen gekommen sei. „Wenn die Kollegen reden oder lachen, denkt Annika, dass sie zum Beispiel über sie lachen. Obwohl das nicht der Fall ist.“ Da eine Gebärdensprachdolmetscherin nicht rund um die Uhr zur Verfügung steht, löste Heiden das Problem folgendermaßen: Sie gab Annika Amberg einfach ein Buch und einen Stift und forderte sie auf, alles aufzuschreiben. „Nur so können wir wissen, was sie bedrückt“, sagt Heiden. Inzwischen seien die Probleme allerdings schon wieder aus der Welt geschafft.

Für Markus Nitsch steht fest, dass Unternehmen im Regelfall mit Schwerbehinderten gut ausgebildete und hochmotivierte Mitarbeiter erhalten. „Ich habe schon gehört, dass ein Mitarbeiter nach Hause geschickt werden musste, weil er unbedingt arbeiten und den Urlaub nicht nehmen wollte“, sagt der Chef der Arbeitsagentur. Daher hoffe er auch, dass der Trend der sinkenden Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen weitergeht und nachhaltig ist. „Die Schwerbehinderten haben in den letzten Jahren weniger profitiert. Da besteht Nachholbedarf.“

Roswita Bosse, Geschäftsführerin der Stendaler Landbäckerei, sieht es indes als Verpflichtung, behinderten Menschen auf dem Arbeitsmarkt eine Chance zu geben. Noch vor dem Sommer soll diese Möglichkeit erneut einer weiteren Person zuteil werden.