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Kult Mit City am Fenster zur Jugend

Die Kult-Ostrocker der Gruppe "City" begeisterten die Fans in Stendal. Klassiker und Neues ließen den Saal beben.

Von Nora Knappe 19.11.2018, 00:01

Stendal l Also, das sei mal festgestellt: Es gibt langweiligere 70-Jährige. Und behäbigere. Und weniger agile. „Wow!“, kann man da nur sagen, wenn man die Gruppe City bisher nur von der einen Kassette kannte, die dann infolge der Abwrackprämie mitsamt des Autos auf dem Schrott landete – weil die Inhaberin vergaß, sie aus dem Handschuhfach zu retten. Das war „City“ für mich, die ich genauso alt bin wie das Album „Am Fenster“. Und na klar, diesen einen berühmten Titel kannte ich längst, mochte ihn, genau wie „Wand an Wand“ oder „Traum aus Glas“. Ein bisschen Ostrock habe ich dann halt schon noch aufgesogen.

Als das Album „Am Fenster“ rauskam und ich noch selig schlummernd in Windeln lag, waren die City-Mannen schon knackige 30 und viele der Fans, die ihnen am Freitagabend im „Schwarzen Adler“ zujubelten, im besten Jugend-, also Diskoalter. „Wir sind mit denen groß geworden!“ Diesen Satz hörte man hier und da immer wieder. Und er steckte voller Erwartung – dass sie vielleicht den einen Lielblingssong spielen mögen, den jeder City-Fan so hat.

Zurück in die Jugend geht es also – und das voller Elan, Mitjubeln, begeistertem Mitklatschen und Von-den-Stühlen-Aufspringen. Das Publikum lässt die „Jungs“ auf der Bühne spüren, dass sie, obwohl ja mehr oder weniger gemeinsam alt geworden, an diesem Abend so jung wie nie sind. Aber im ausverkauften Saal finden sich längst nicht nur Ü-60er, der City-Sog erfasst auch weit Jüngere.

Die Band um Gründer Fritz Puppel und den gravitätischen Sänger Toni Krahl ist mit ihrer „Candlelight Tour“ unterwegs, mischt das Programm aus den mitreißend schönen Balladen ihrer 45 Jahre Bandgeschichte mit den neueren elektro-akkustischen Arrangements. In Stendal sind sie nicht zum ersten Mal, zuletzt beehrten sie die Fans im Dezember vor zwei Jahren.

Souverän und gelassen und gleichzeitig voll Spielfreude beginnen sie das Konzert auf Barhockern sitzend, später werden zumindest Sänger, Gitarrist und Bassist/Violinist die Bühne mit Bewegung füllen. Man schaut ihnen gern zu, sie sind mit ihren Instrumenten irgendwie eins, mal einfühlsam, mal unbändig. Und die fünf Männer mit den haarlosen Schädeln sind so gar nicht festzulegen: Sie ergreifen gänsehaut-schaudernd mit „Sag mir, wo die Blumen sind“ und „Sind so kleine Hände“, amüsieren mit Krahlschen Anekdoten über die Männer-Frauen-Beziehung oder Erlebnisse auf der Reeperbahn, werden nostalgisch-trotzig mit „Es ist immer noch Sommer“ und selbstironisch-semi-erotisch mit einer dem Alter entsprechend abgewandelten Version von „Unter der Haut“. Das Publikum lässt Begeisterung zur Bühne schwappen, als das „Hey-ya“ zu „Immer geradeaus“ anklingt. Und zuletzt gibt es von City eine Art Medley, in dem „Wand an Wand“, „Mir wird kalt dabei“, „Wo die Palmen sich verneigen“ und „Was wollen wir trinken“ ineinander übergehen.

Nach fast drei Stunden Konzert läutet „Casablanca“ das Finale ein, und zur Zugabe, kaum dass die ersten hymnisch- gefühligen Töne anklingen, steht der Saal. Denn endlich, endlich kommt „Am Fenster“ in seiner vollen Pracht. Die Lichtrechtecke der nun zuhauf gezückten Handys mag man wohlwollend als romantisches Feuerzeugleuchten wahrnehmen.

Und auch ich lasse mich nun von diesem wunderbaren Klassiker mitreißen, der doch zumindest in meiner späteren Jugend, gerade noch rechtzeitig also, an meinem musikalischen Horizont auftauchte und einen sentimentalen Nerv traf. Ich freue mich schon, ihn zu Hause noch mal zu hören – denn als Ersatz für die verschrottete City-Kassette kommt an diesem Abend natürlich das Best-of-Album mit.

Derart erfüllt, stelle ich, da ich kurz meinen Standort im Saal gewechselt habe, mit Staunen fest, dass der Schlagzeuger doch tatsächlich barfuß spielt! Hat er das etwa die ganze Zeit schon? Das sind sie also, die Senioren von heute!