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Landgericht 240 Akten unbearbeitet im Schrank

Wegen verschwundenen Akten verjährten verschiedene Fälle ungestraft. Ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft Stendal steht nun vor Gericht.

Von Wolfgang Biermann 29.01.2018, 16:06

Stendal l Nun beginnt vor dem Landgericht ein Berufungsprozess, wie er nicht alle Tage stattfindet.

Ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft Stendal soll dafür verantwortlich sein, dass bei einer am 8. Oktober 2015 durchgeführten Durchsuchung seines Bürokleiderschrankes 240 unbearbeitete Akten entdeckt wurden. 65 Akten gelten als spurlos verschwunden. Wegen Strafvereitelung beziehungsweise Verwaltungsbruchs in 22 Fällen hatte die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau den heute 41-jährigen Familienvater aus dem Altmarkkreis Salzwedel angeklagt. Dabei ging es in sechs

Fällen um Strafsachen und in 16 Fällen um Bußgeld- sachen – allesamt aus 2012 und 2013 und daher verjährt. Die teils rechtskräftig verurteilten Täter blieben unbestraft.

Das Amtsgericht hatte bis auf zwei nicht zweifelsfrei nachzuweisende Tatvorwürfe die Anklagepunkte am 23. Mai vorigen Jahres als erwiesen angesehen und den zum Prozesszeitpunkt vom Dienst suspendierten und seit Oktober 2015 krankgeschriebenen Sekretariatsleiter zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, die Strafe aber zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem sollte er 1500 Euro an einen gemeinnützigen Verein zahlen. Sein Dienstherr hatte ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet.

Gegen das Urteil hatten sowohl der Angeklagte, dessen Verteidiger eine Geldstrafe wollte, als auch die Staatsanwaltschaft, die eine 22-monatige Bewährungsstrafe, eine Therapie und 5000 Euro Geldbuße gefordert hatte, Berufung eingelegt. Ob das gegen den Angeklagten angeordnete Disziplinarverfahren inzwischen abgeschlossen ist, ist nicht bekannt.

Der Beamte, dem nur Gutes von Kollegen und Vorgesetzten nachgesagt wurde, hatte im Prozess im Mai 2017 eingeräumt, „wahllos“ Akten in den Kleiderschrank getan zu haben: „Ich konnte die Akten nicht mehr sehen.“ Er hätte sich überlastet gefühlt und sei depressiv geworden. Gleichwohl hatte er sich, so Zeugen, sogar angeboten, zusätzliche Arbeiten zu übernehmen und Hilfe abgelehnt. Zudem war er auch Personalratsvorsitzender der Behörde.

Ein psychiatrischer Gutachter hatte dem Angeklagten im Prozess eine „mittelgradige narzistisch-depressive Persönlichkeitsstörung“ attestiert, die das Schöffengericht strafmildernd im Urteil berücksichtigt hatte.

Hält die Berufungskammer das Amtsgerichtsurteil oder spricht eine Geldstrafe über 90 Tagessätzen aus, dürfte die berufliche Karriere des 41-Jährigen in jedem Fall beendet sein. Wird er freigesprochen oder bekommt nur eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen, hätte er noch Chancen auf eine Weiterbeschäftigung in der Staatsanwaltschaft. Zwei Prozesstage sind angesetzt, am 14. Februar wird das Urteil erwartet.