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Leidenschaft Burkhard Schulz gibt sein Museum auf

Der Borsteler Burkhard Schulz beackert als Chronist gleich mehrere Felder. Jetzt will der 72-Jährige kürzertreten.

Von Egmar Gebert 05.10.2017, 18:50

Borstel l Wären in der Bürowand zum Hof hin nicht die Fenster eingebaut, stünden wohl auch dort noch Regale. Von ihnen ist Elektromeister Burkhard Schulz nahezu eingerahmt, wenn er am Schreibtisch sitzt und arbeitet. Wobei der 72-Jährige „Arbeit“ seit seinem beruflichen Ruhestand neu definiert hat, seine Zeit – und besagte Regalwände im Meister-Büro – mehr noch als früher mit seinen Hobbys füllt und mittlerweile zugibt: „Ich habe mich da wohl ein bisschen übernommen.“

Das hat vor allem mit dem Herzblut zu tun, mit dem er Chronist und Sammler ist, mit der akribischen Genauigkeit, mit der Burkhard Schulz seine Steckenpferde reitet.

Da ist zum einen die Geschichte des Flugplatzes Stendal-Borstel, die Burkhard Schulz fesselt und die er in bisher fünf brechend vollen Aktenordnern dokumentiert hat. Schulzes Flugplatz-Chronik beginnt im Jahr 1910. „Damals hat die Firma Paarmann dort die ersten Flugzeuge getestet. Darum hieß das Areal auf dem ehemaligen kaiserlichen Exerzierplatz kurzzeitig auch Paarmanns Flugplatz“, beginnt Flugplatz-Chronist Schulz zu erzählen und kommt dabei auch auf Kuriositäten zu sprechen, die in den Aktenordnern zu finden sind. Zum Beispiel eine „Ausschreibung“ der Bauleitung des Flugplatzes aus dem Jahr 1938. Es ging um die Anschaffung einer „Weckuhr“. Der schlussendlich zu zahlende Preis: 5,80 Reichsmark.

Ähnlich sonderbare Geschichten – für Chronisten das Salz an der Suppe – kann Burkhard Schulz aus dem Stendaler Tiergarten erzählen. Auch dessen Historie arbeitete er in einer Chronik auf, beginnend mit dem Wiederaufbau in den 1950er Jahren. So war man unter anderem stolz auf die erweiterte Fuchsanlage. Am Tag der Einweihung fehlte es allerdings an dem Bewohner. Der Fuchs, der hier einziehen sollte, war am Abend zuvor gestorben. Es blieb nichts anderes, als erst einmal ein ausgestopftes Exemplar zu präsentieren.

Die ersten Chronik-Ordner hat Schulz bereits an die Tiergartenleitung übergeben. Das aktuellste Kapitel ist – wie auch das der Borsteler Flugplatzchronik – jedoch noch nicht aufgeschrieben. Auf einem Glastisch neben dem Schreibtisch stapelt sich das Material zu beiden Themen. „Das werde ich im Winter aufarbeiten. Im Sommer habe ich keine Zeit dafür, da muss ich mich um meine Blumen kümmern“, reißt Burkhard Schulz ein weiteres Hobby an, das ihn aber dann doch nicht so viel Zeit kostet, um nicht „nebenbei“ noch die Borsteler Ortschronik zu führen. „Sechs Ordner sind schon im Stadtarchiv. Und die nächsten werden auch dort landen.“

Die Art wie Burkhard Schulz das sagt, lässt keinen Zweifel daran, dass er auch künftig an allen drei Chroniken weiterarbeiten wird.

Ebenso, wie er fast täglich zum Borsteler Bahnhof mit seinen 13 Weichen wandert, um dort die rangierenden Lokomotiven zu fotografieren. Auch die füllen mittlerweile Bände, und auch zu ihnen kann der Mann, der seine berufliche Laufbahn als Elektromaschinenbauer bei der Reichsbahn und im Stendaler RAW begann, viele spannende Geschichten erzählen. Nur eine sei hier angerissen:

Die schwerste Lok, die derzeit auf deutschen Schienensträngen unterwegs ist, kommt aus England. 2015 hat Schulz sie auf dem Borsteler Bahnhof „erwischt“. Die Nummern an den Rahmen der Fahrzeuge verraten ihm das Baujahr, den Lok-Typ und den Besitzer des Gefährts. Lokomotiven aus den verschiedensten Ländern hatte er schon vor der Kamera, selbst Japaner. Sein Liebling unter den Loks ist jedoch eine sowjetischer Bauart. „Die ‚Ludmilla‘. 4000 PS. Die zieht die schwersten Züge“, gerät Eisenbahn-Fan Schulz ins Schwärmen.

Auf all das kann, will und wird der Borsteler nicht verzichten. Aber wie sagte er doch zu Beginn: Er habe sich wohl etwas übernommen. Die Konsequenz daraus ist, dass er ein bis hierher noch gar nicht angesprochenes Hobby – wenn auch schweren Herzens – an den Nagel hängen wird. Um ihm zu frönen, muss er eine ebenso schmale wie steile Treppe ins Dachgeschoss des Wohnhauses erklimmen. Das fällt dem gesundheitlich angeschlagenen Senior zunehmend schwerer. Es geht um sein an hunderten Alltags- und geschichtsträchtigen Ausstellungsstücken reiches Museum. „Ich bin dabei, es aufzulösen“, sagt er, wissend, dass er damit auch ein Stück Familiengeschichte aus der Hand geben wird.

Das Haus, in dem er und seine Frau leben, ist 200 Jahre alt. Es gehörte seiner Tante. „Als wir angefangen haben, es umzubauen, fand sich so einiges. Das war der Anfang fürs Museum“, erinnert er sich. Abgeben möchte Burkhard Schulz daher nur an Leute, die das zu würdigen wissen, denn: „So was kann man doch nicht wegschmeißen.“ So was wie Ende des 19. Jahrhunderts herausgegebene, mehrbändige Fachliteratur, so was wie seine Schreibmaschinensammlung, so was wie die Grammophone samt „Gloria“-Platten oder die unangerissene Zigarettenpackung Marke „Salem“.

So was aber auch wie ein Exemplar des letzten Gesetzblattes der DDR, herausgegeben am 28. September 1990. In ihm veröffentlicht wurde der „Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik mit der Bundesrepublik Deutschland über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31. August 1990 (Verfassungsgesetz)“.

Wer an diesem besonderen, letzten DDR-Gesetzblatt, einem oder mehreren der anderen Ausstellungsstücke Interesse hat, kann sich bei Burkhard Schulz in Borstel, Telefon 03931/71 58 77, melden.