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Lockerungen Viele hatten sich mehr erhofft

Vorerst wurden nur geringe Lockerungen in der Corona-Krise beschlossen. Die Volksstimme hat einige Reaktionen eingefangen.

Von Bernd-Volker Brahms 17.04.2020, 01:01

Stendal l Mit Spannung ist darauf geguckt worden, inwiefern die seit Wochen geltenden Einschränkungen im öffentlichen Leben gelockert werden. Von Freude bis tiefe Enttäuschung reichten die Reaktionen auf die fortgesetzten Abstands- und Hygieneregeln sowie die Lockerungen vor allem für Geschäftstreibende.

Eine Willkommensplakat hängt Silke Kampe in das Schaufenster ihres Schuhgeschäfts in der Stendaler Breiten Straße. „Die Kunden sollen wissen, wir sind ab Montag wieder da“, sagt sie. Sie freut sich, nach vier Wochen Zwangspause wieder tätig zu sein, damit Geld in die Kasse kommt. Die Waren mussten per Vorkasse bezahlt werden.

Nebenan holt Andrea Stengel in einem Nähstübchen eine Mundschutzmaske ab. „Nun bin ich bestens vorbereitet, um meinen Laden wieder zu öffnen“, sagt die Tangermünderin. Seit 30 Jahren betreibt sie in Stendal ein Uhren- und Schmuckgeschäft. Für die drastischen Einschränkungen hatte sie Verständnis. Nun, wenn die Geschäfte bis 800 Quadratmeter Verkausfsfläche wieder öffnen, „rechne ich nicht gleich mit einem Ansturm“. Dennoch sei sie froh, wieder Geld verdienen zu können.

Eine andere Regelung hätte sich Annett Noffke vom Modehaus Ramelow gewünscht. Mit rund 1600 Quadratmetern ist das Geschäft in der Stendaler Innenstadt rund doppelt so groß wie die nun festgelegte Maximalgröße. „Wir sind mit Spukwänden an der Kasse, mit Desinfektionsmitteln und auch Masken für Mitarbeiter und Kunden ausgerüstet“, sagt die Geschäftsführerin. Sie könne die unterschiedlichen Regeln nicht nachvollziehen. „Warum können große Baumärkte und Einkaufszentren geöffnet werden“, fragt sie. „Wir akzeptieren das so und machen das Beste draus“, sagt Noffke. Bei Ramelow laufen umfangreiche Bauarbeiten, um bald auch die dritte Etage des Hauses wieder mit einzubeziehen. Die 28 Mitarbeiter am Stendaler Standort sind in Kurzarbeit. Man hoffe, dass das Geschäft möglicherweise ab 4. Mai wieder geöffnet werden kann.

Für die Abschlussklassen wird die Öffnung der Schulen „ein Segen sein“, sagt Christiane Bloch. Die Fachlehrerin vertrat gestern den Leiter der Komarow-Sekundarschule in Stendal. Für die Lehrerschaft seien nun konkrete Vorgaben vom Kultusministerium wichtig, um einen Fahrplan für den Einstieg in den Unterrichtsalltag aufzustellen. Vorrang müssen die 10. Klassen haben, „denn wir sind an die Prüfungen gebunden.“ Mitte Mai sind die schriftlichen Prüfungen fällig, vom 8. bis 12 Juni die mündlichen.

Fehl am Platz sei, bei der Öffnung der Schulen in Panik zu verfallen. „Wir brauchen Sicherheit für den Schutz der Schüler und der Lehrer.“ Geklärt werden muss, wie der Schülerverkehr geregelt und ob Sportunterricht möglich ist.

Gegen einen Schnellschuss wie beim Start der Schulschließungen spricht sich Monika Teichert aus. Sie leitet die Gagarin-Grundschule in Stendal und begrüßt „natürlich den Lichtblick, obwohl ich erst froh bin, wenn alle Kinder wieder im Haus sind.“ Sie wünscht sich einen langsamen, geordneten Übergang und würde mit den 4. Klassen beginnen.

Aus hygienischer Sicht sieht Monika Teichert keine Probleme, „wir haben eine Grundreinigung bekommen, das Reinigungspersonal arbeitet bestens. Was den Mundschutz betrifft, „sind auf Eigeninitiative schon Schutztücher genäht worden. „Dennoch bin ich der Meinung, der Schulträger muss die Artikel für Schüler und Lehrer stellen“, so Monika Teichert.

Im Rudolf-Hildebrand-Gymnasium beginnt jetzt die Planung, in welchen Räumen die angehenden Abiturienten ihre Abschlussprüfungen schreiben werden, sagt Schulleiterin Anne-Dore Meißner. Keine leichte Aufgabe, da der Seitenflügel der Schule saniert wird. Ursprünglich sollten die Schüler in Räumen des Winckelmann-Gymnasiums schreiben. Das sei nun nicht möglich. Sorgen macht sich die 65-Jährige keine. Bis zum 4. Mai sei genug Zeit zum Planen. Sie wartet ohnehin auf weitere Anweisungen des Kultusministeriums.

Tiefe Enttäuschung bei Gastronomen und Hotelbetreibern. Für sie gibt es keine Lockerungen, ihre Häuser bleiben zu, die Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. „Viel schlimmer, es gibt nicht einmal eine Perspektive für uns“, sagt Manfred Hippeli, Kreischef beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) und selbst Restaurantbeteiber. Der Havelberger hätte erwartet, dass die Regierung eine Strategie vorschlägt, wie die Gaststuben und Hotels trotz Infektionsschutzvorschriften ihren Betrieb langsam wieder aufnehmen können. „So lange es keinen Impfstoff gegen das Coronavirus gibt, werden wir einen Normalzustand sowieso nicht erreichen.“

Der DEHOGA-Kreischef sieht Möglichkeiten, der „gebeutelten Branche“ mit Lockerungen entgegenzukommen: „Wir platzieren die Gäste mit gebotenem Abstand - nutzen Café- und Biergärten - und verzichten auf den Ausschank von Alkohol.“ Gleichzeitig fordert er: „Es darf nicht das Ziel sein, dass für unsere Branche auch noch Pfingsten ins Land zieht.“

Ins gleiche Horn stoßen Vertreter der Kirche. Superintendent Michael Kleemann zeigt sich „enttäuscht“ und bezeichnet den Entschluss, das Gottesdienstverbot aufrecht zu erhalten als „verständlich, aber betrüblich.“ Auch wenn man „keinen Flickenteppich an Entschlüssen“ möchte, so wäre aufgrund der vergleichsweise geringen Infektionszahlen in Sachsen-Anhalt eine schrittweise Lockerung im Bereich des Möglichen gewesen, zumal viele Gotteshäuser groß genug sind, um alle Sicherheitsabstände für die Gottesdienstbesucher einzuhalten.

Kleemann erwartet, dass in „dieser Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen ist“. Ein Gespräch zwischen Vertretern der Religionsgemeinschaften und dem Bundesministerium für Inneres, bei dem ein möglichst einvernehmlicher Weg für die Zukunft besprochen werden soll, ist noch für diese Woche geplant.