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Natura 2000 Unmut wegen Schutzgebieten

Die "Natura 2000"-Schutzgebiete werden derzeit rechtlich festgelegt. In Stendal und Umgebung gibt es da viel Klärungsbedarf.

Von Nora Knappe 22.11.2017, 17:27

Stendal l Das europaweit größte Naturschutzprojekt „Natura 2000“ wird derzeit einer aktuellen Analyse und Festsetzung unterzogen. Im Landkreis Stendal betrifft das neun Kommunen mit sechs Vogelschutzgebieten und 23 Flora-Fauna-Habitat-Gebieten. Gemeinden, Anwohner und Verbände wurden in den vergangenen Wochen in Vor-Ort-Gesprächen über die neue Richtlinie informiert und haben die Möglichkeit, bis 4. Dezember dazu Stellung zu nehmen und Einwände zu äußern.

Dass es Klärungsbedarf gibt, zeigte sich auf der Informationsveranstaltung Ende Oktober im Stendaler Landrats­amt. Angesichts der Vielzahl der Interessengruppen wurde aber ebenso deutlich, dass es einer übergeordneten Koordination bedarf. Die Jäger wollen jagen, die Angler wollen angeln, die Fischer wollen per Boot auf die Gewässer, die Landwirte wollen das Land bestellen, der Grundstückseigentümer will bauen, Touristen wollen in die Landschaft, Anwohner wollen baden, radeln, reiten, Wassersport betreiben.

Diese Interessenskollision ist den Naturschutzfachleuten vom Landesverwaltungsamt bewusst, daher sucht man explizit den Kontakt zu betroffenen Kommunen, gibt es ein öffentliches Beteiligungsverfahren. „Der Inhalt der Verordnung soll so gestaltet werden, dass alle damit leben können“, sagte Gert Zender, Abteilungsleiter für Umwelt und Naturschutz im Landesverwaltungsamt. „Unser Ziel ist ein größtmöglicher Konsens.“

Schon vor dem öffentlichen Beteiligungsverfahren, das seit Anfang Oktober läuft, gab es Gespräche mit Landkreisen, Kommunen, Bewirtschaftern, Verbänden sowie Naturschutzvereinen, um Bedenken und Hinweise aufzunehmen, Konfliktpotenzial auszuloten.

Das Schutzgebietssystem „Natura 2000“ wurde Anfang der 90er Jahre von der Europäischen Union ins Leben gerufen, weil sich der Zustand der natürlichen Lebensräume und einer Vielzahl wildlebender Tier- und Pflanzenarten „seit Beginn des 20. Jahrhunderts im Gebiet der EU-Mitgliedsstaaten bedrohlich verschlechtert“ hatte. Einige der damals ausgewiesenen Schutzgebiete wurden rechtlich noch nicht erfasst – das soll mit der neuen Richtlinie nun passieren.

Zender und seine Kollegen stellten in Stendal vor großem Publikum das Textwerk vor, worin die Schutzgebiete genau umgrenzt werden und worin erläutert wird, welche Arten dort jeweils leben, welche Einmaligkeiten es gibt und letztlich, was Menschen dort wann in welchem Maße erlaubt ist.

An paragrafenreiche Gesetzestexte, Verordnungen und Richtlinien dürften Verwaltungsmitarbeiter und Bürgermeister genauso wie jeder Unternehmer gewöhnt sein. Und doch entfaltete die Vorstellung des vor allem aus Anhängen bestehenden Natura-2000-Entwurfs offenkundig eine abschreckende Wirkung. Die Fragen und Einwürfe bewegten sich denn auch zwischen sachlich und polemisch: Wie soll der einzelne Ortsbürgermeister diese vielen Anlagen zu den Anlagen durchschauen und sie dann noch dem Bürger erklären? Ob nun von Touristen erwartet werde, dass sie sich nur noch mit dickem Ordner und einem Wust an Detailkarten durch die Landschaft bewegten, um ja nichts falsch zu machen? Dürfe man dann am Ende nicht mehr in der Havel baden? Dürfe der Gastwirt an der Biese keine Veranstaltungen mehr machen? Welche Einschränkungen habe die Landwirtschaft zu erwarten? Bedeute das alles nicht sogar einen Wertverlust der Flächen?

Auf jede dieser Fragen reagierte Zender entweder mit einem Verweis auf die entsprechenden Paragrafen oder gar das Grundgesetz oder aber mit der Zusicherung, das Anliegen mit den entsprechenden Interessensgruppen zu erörtern.

Der Landkreis Stendal hat ob der Vielzahl der betroffenen Gebiete eine Fristverlängerung bekommen und wird seine Stellungnahme bis Anfang Januar abgeben.