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Querschnittsgelähmt Ein schwerer Weg, den zu gehen gelohnt hat

Nach einem Unfall ist Dirk Steller aus Buch querschnittsgelähmt. Der Weg zurück ins Leben war sehr lang und schmerzhaft.

Von Egmar Gebert 28.09.2016, 17:54

Buch l Ein Haus im Bungalow-Stil, klar strukturiert der Zuschnitt, lichtdurchflutet der Wohnbereich. An einer Wand, dem Eingang gegenüber hängen Fotos. Ein frisch vermähltes Ehepaar. Private Glücksmomente. Die Zeit im Bilderrrahmen festgehalten. Der Moment, in dem Er Sie auf Händen trägt, in dem kein Zweifel daran besteht, dass es nie anders sein wird.

Auch heute würde Dirk Steller seine Sandra auf Händen durchs Leben tragen, wenn er nur könnte.

Knapp vier Jahre waren dem jungen Glück vergönnt, bis zum 18. Juni 2012. „Das ist nur eine Sekunde und plötzlich ist nichts mehr wie es war.“ Das Lächeln, das zu Dirk Steller gehört wie seine angenehm freundliche Art, mit der er anderen Menschen begegnet, gefriert. Nur ein Augenzwinkern lang, aber doch spürbar, hält er inne, erzählt dann weiter.

Der Tischler und Zimmermann kam wie an jedem Tag von der Arbeit. Auf dem Hof waren Heuballen abzuladen. Futter für die Tiere der Stellers. Handgriffe, die Dirk Steller schon oft tat, die er beherrscht, auch dieses Mal. Dann dieser eine Schritt zurück. Eine Palette liegt im Weg. Dirk Steller kann sie nicht sehen, stößt dagegen, verliert das Gleichgewicht, fällt nach hinten.

„Das erste was ich mitbekam war, dass ich meine Füße nicht mehr spürte.“ Das sagte er auch den zu Hilfe Eilenden. Glück im Unglück, nennt Steller es heute, dass unter diesen Männer einer Feuerwehrmann war, der im Rettungsdienst arbeitet. Bei dem Helfer lässt dieser Satz die Alarmglocken schrillen. „Finger weg, nicht bewegen“, so seine Ansage. Der Rettungsdienst wird alarmiert. Ein Hubschrauber fliegt Dirk Steller in eine Klinik nach Brandenburg. Auf dem Flug dorthin verliert er das Gefühl in den Beinen, dann in den Fingern, in den Armen.

Nicht so toll, aber das gibt sich wieder, das wird wieder gut, glaubt der Mann, der bis vor kurzer Zeit noch fest auf seinen Beinen und mitten im Leben stand.

Was Dirk Steller nicht ahnt: Seine Wirbelsäule ist gebrochen. Der vierte und fünfte Halswirbel sind derart gegeneinander verschoben, dass sie das Rückenmark quetschen, was wiederum die Lähmungen zur Folge hat.

Die Dramatik seiner Situation ist Dirk Steller lange nicht bewusst Er ist überzeugt, nach einer gewissen Zeit der Rehabilitation wieder laufen zu können. Wochen und Monate, in denen Sandra Steller die Last der schrecklichen Gewissheit allein tragen muss.

„Mir hat es der Arzt in Brandenburg gleich am ersten Tag gesagt. ‚Ihr Mann ist querschnittsgelähmt. Er wird nie wieder laufen können. Wie weit wir die Arme wieder funktionsfähig bekommen, müssen wir sehen.‘“

Sätze, die sich einbrennen, der Frau den Boden unter den Füßen wegreißen. Wie mit dieser Diagnose umgehen? Was soll jetzt werden? Und vor allem: Was geschieht mit meinem Mann, wenn er die Wahrheit erfährt? Kommt er damit klar?

„Ich habe mich jeden Abend in den Schlaf geweint, weil ich keine Antworten hatte.“ Das Schreiben eines Tagebuches hilft Sandra Steller über diese schwere Zeit, in der sie es sich versagt, ihrem Mann gegenüber Schwäche zu zeigen.

Dirk Steller ist inzwischen in der Reha und arbeitet hart an sich und seinem Körper. Aus kleinsten Anzeichen von Fortschritten saugt er Hoffnung. „Er war so ungeduldig, wollte endlich wieder laufen. Es hat mir fast das Herz gebrochen“, erinnert sich Ehefrau Sandra an die ersten Monate der Reha. Kurz vor Weihnachten 2012 sagt Sandra Steller ihrem Mann, wie es um ihn steht.

Dirk Steller: „Das war der schlimmste Augenblick meines Lebens. Ich hatte das verdrängt. Es hat sehr lange gedauert, bis ich es akzeptieren konnte.“

Heute weiß Dirk Steller, dass er durch dieses Tal gehen musste. Weiß auch, dass er ohne diese Klarheit, die Kraft nicht gehabt hätte, in Augenblicken der Verzweiflung durchzuhalten.

„Manchmal war ich ganz weit unten. In solchen Momenten denkst Du: Vielleicht wärst Du besser nicht wieder aufgewacht. Mein Weg zurück ins Leben war schwer. Es tut unheimlich weh, wenn man Muskeln wieder aktivieren will“, nennt er ein Beispiel. „Aber ich hatte sehr gute Therapeuten.“

Zu einer solchen – der wichtigsten und besten, die Dirk Steller bekommen konnte – „qualifizierte“ sich auch Sandra Steller in den 19 Monaten, die ihr Mann in der Reha verbrachte. Das bescheinigen ihr Fachleute in Sachen Intensivpflege wie Marcel Saß.

Der Schweriner ist Geschäftsführer der Sanitas Pflege & Betreuungs GmbH, die von Stendal aus mit 30 Mitarbeitern auch im Norden Sachsen-Anhalts Menschen in ihrem häuslichen Umfeld intensivmedizinisch betreut. Saß ist examinierter Altenpfleger und Pflegeexperte für außerklinische Beatmung. „Es ist schon ein Unterschied, ob Du auf so einem Posten vom Fach bist, oder ein reiner Büromensch. Was ich sagen will: Du musst dein Fach beherrschen und für den Beruf brennen.“

Weil das bei Marcel Sass so ist, arbeitet er heute noch hin und wieder in anderen Einrichtungen als Intensivpfleger, sammelt Erfahrungen, von denen seine Mitarbeiter profitieren. Von diesen erwartet er nicht das gleiche, umfangreiche Wissen wie er es hat. „Dazulernen kann man immer“, sagt er und sorgt bei seinen Leuten dafür. „Wichtig ist, dass ich merke: Die Mitarbeiter wollen diesen Beruf, sie leben ihn.“

So wie die Nadine Alex. Die junge Frau ist eine der Mitarbeiterinnen aus dem Team von Marcel Saß und sie ist Dirk Stellers Intensivpflegerin. An fünf Tagen in der Woche und an jedem dieser Tage acht Stunden.

Auch wenn Dirk und Sandra Steller wieder gelernt haben, ihr Leben zu Hause zu meistern, sind sich doch auf diese Hilfe angewiesen. Dirk Steller kann zwar die Arme wieder bewegen, die Hände aber nicht. Manschetten, in die sie eingeschnürt sind, erlauben es ihm, den Rollstuhl, in dem er sitzt, über seitlichen Druck und mit der Kraft der Arme im Haus kurze Strecken zu bewegen. „Viel mehr geht nicht“, sagt er und fügt sofort an: „Aber sonst funktioniert das super.“

Der Bucher meint damit nicht nur die intensivmedizinische Betreuung, mit der Nadine Alex schon fast zu einem Teil der Familie Steller wurde und es immer noch wird. Es ist auch die Tatsache, dass er nach einem schweren und langen Weg sein Lächeln und die Freude am Leben zurückgewinnen konnte.