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Radfahren Wie Stendals Müllhalde zum Stadtidyll wurde

Johannes Behrens arbeitet seit zwei Jahren an einem Projekt: Den lange müllgefluteten Bürgerpark in Stendal zu einem Naturidyllzu machen.

Von Christoph Zempel 14.11.2018, 01:00

Stendal l Wo noch vor zwei Jahren Müllberge waren und Sträucher ungepflegt wucherten, ist heute, 2018, eine Begegnungsstätte für Radsportler, Wanderer und Familien entstanden. Rampen, Pisten und eine Radrennstrecke von 1,5 Kilometern Länge haben die Bikefreunde um Johannes Behrens im Bürgerpark Stendals geschaffen – direkt hinter der Altmark-Oase.

Die Bikefreunde, das ist im Augenblick noch ein lose zusammengewürfelter Haufen mit Leidenschaft für den Radsport. „Ich würde sagen, 40 bis 100 Leute sind öfter hier und regelmäßig etwa zehn bis 15“, sagt Johannes Behrens. Er ist der, mit dem vor zwei Jahren alles beginnt. Auch wenn den Ausschlag sein Freund Joshua Spinder gibt. „Er hat mir von dem Gelände erzählt und mich so auf die Idee gebracht“, erzählt Behrens. So viel Müll, aber so ein schöner Park – das ist das erste, was er damals denkt, als er sich das Gelände mit Joshua Spinder ansieht. Das ist auch der Moment, in dem Behrens eine Vision hat. Eine Vision von einem naturbelassenen Entspannungspark, in dem sich Radsportler austoben und zugleich Wanderer und Familien wohlbehalten Zeit verbringen können. Ein Ort, an dem sich Jung wie Alt wohl fühlen kann. „Das alles hat Johannes von Anfang an in seinem Kopf gesehen, während ich mir das gar nicht vorstellen konnte“, sagt Joshua Spinder.

Nach zwei Jahren hat Johannes Behrens schon ziemlich viel davon umgesetzt und noch dazu 1500 Euro investiert. Für Werkzeuge und Holz. Und zwar aus eigener Tasche. Er hätte das Geld auch in sein Haus stecken können, aber das wollte er nicht. „Auf die Art schaffe ich etwas für viele Menschen. Das ist mir mehr wert“, sagt Behrens.

Direkt nachdem die Idee geboren ist, legt Behrens los. Er sammelt den Müll ein, baut Rampen und ebnet die erste Abfahrt. Allein den Müll aufzusammeln, kostet ihn ein halbes Jahr seiner Zeit. Immer öfter begegnen ihm damals Wanderer, die ihn fragen, warum er das tut. Johannes Behrens fängt an, Unterschriften dafür zu sammeln, aus der Ödnis ein Naturidyll mit Radsportstrecke machen zu dürfen. Alle finden die Idee auf Anhieb toll. Nach dem ersten Jahr kommen nicht mehr nur Wanderer, sondern auch Jugendliche. „Da hat es sich dann sehr schnell herumgesprochen“, blickt Behrens zurück. Seither treffen sie sich öfter und arbeiten gemeinsam an dem Projekt. Jeder könne seine Ideen einbringen, jeder habe ein Mitspracherecht, sagt Behrens.

Doch einen Haken gibt es seinerzeit. Das Gelände ist Stadteigentum. Das ist es auch heute noch. Aber die Bikefreunde werden geduldet. Die Stadt ist froh, dass sich jemand um das Areal kümmert, das sie einst von einem Großgrundbesitzer geschenkt bekommen hat. „Es ist eine Riesenwohltat, dass sie den Müll weggesammelt haben. Dafür sind wir sehr dankbar“, sagt Stadtsprecher Philipp Krüger. Einzige Bedingung, die die Verwaltung stellt: Die Bikefreunde sollen sich einem Verein anschließen oder selbst einen gründen. Denn im Moment haftet jeder für sich selbst. Und ganz ungefährlich sind Sprünge über Rampen nicht.

Deshalb kümmert sich Behrens derzeit um die Vereinsgründung. Denn anderswo anschließen wollen sie sich nicht. Schilder, die auf die eigene Haftung hinweisen, gibt es bereits. „Dass dort bereits gefahren wird, wollen wir auch nicht untersagen“, sagt Krüger. Er und andere Stadtvertreter hätten sich das Gelände angeschaut. „Dort ist so viel Gutes passiert, sogar das Denkmal von Friedrich Schiller wurde gesäubert.“ Deshalb wolle man einen Mittelweg finden. „Wenn die Vereinsgründung abgeschlossen ist, dann kann man über eine Pacht reden“, sagt er.

Die Bikefreunde freuen sich derweil über Unterstützung, sagt Behrens, doch ihnen ginge es nicht ums Geld, vielmehr um die Sache. Alles soll möglichst natürlich bleiben. Neben der Strecke sollen die Wanderwege grün bleiben, alles, was sie bauen, soll nur aus Holz und Stein bestehen und die Natur geschützt werden. „Wir sind eine Familie, eine Menschenmenge, wir leben in einer Natur, die wir alle verantwortungsbewusst nutzen sollten“, sagt er.

Keiner solle sich dort bedrängt fühlen. Deswegen wollen die Bikefreunde dort auch nicht alles verbauen. Was es ebenfalls nicht werden soll, ist ein Stadtspielplatz, auf dem nur gesoffen wird. Niemand solle sich dort ausgegrenzt fühlen. Und das klappe bislang ganz gut. Manche kommen, um Hausaufgaben zu machen, andere führen ihren Hund aus und wieder andere fahren einfach eine Runde mit. „Es ist sogar schon eine Dreijährige gefahren.“ Und auch eine Frau im Alter von 70 hat schon eine Runde mit dem Rad gedreht.“

Was noch geklärt werden muss, ist, was mit dem Friedrich-Schiller-Denkmal geschieht. „Wir möchten es gern behalten und noch verschönern“, sagt Behrens. Um den Dichter zu würdigen, haben sie sogar eine Rampe nach ihm benannt – der Schiller-Drop.

Springen die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen über den Schiller-Drop, sieht das beeindruckend und riskant gleichermaßen aus. Dass sich niemand überschätzt, darauf achten sie dort gegenseitig. Was am wichtigsten sei, sagen sie, ist es, die richtige Geschwindigkeit zu finden, den Moment des Absprungs richtig abzupassen und in der Luft sowohl die Balance zu halten als auch mit den Füßen auf den Pedalen zu bleiben. „Man braucht auch gerade beim Bremsen ein gutes Fahrgefühl“, sagt Behrens. Bevor jemand springt, muss er viel trainieren. Auch er habe sich das erst in den vergangenen zwei Jahren beigebracht, auch wenn er schon immer radinteressiert war. Bald soll es einen Übungsplatz geben, auf dem, ähnlich wie beim Surfen, fließend durch Kurven geglitten werden kann.

„Für mich ist es super, um gesund zu bleiben, Gemeinschaft zu erleben und Feinmotorik zu trainieren“, drückt Behrens seine Faszination für den Radsport aus. Fast täglich ist er dort und macht die Wege frei, sammelt den Müll auf oder bessert die Piste aus. Wenn sie irgendwann offiziell ein Verein sind, kann er sich vorstellen, das hauptberuflich zu machen und Lehrgänge ebenso wie Rennen anzubieten. Doch eines soll es bleiben: Eine Begegnungsstätte für jedermann. Egal, ob Radsportler, Wanderer oder Familien.