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Schießerei Aus "Dankbarkeit" die Waffe gezückt

Eigentlich wollte Andreas F. nur helfen. Als "Dank" wurde auf ihn gefeuert, zum Glück nur mit Schreckschussmunition.

Von Rudi-Michael Wienecke 23.07.2019, 05:00

Tangerhütte l Es begann alles ganz harmlos. „Ich wollte noch ein Feierabendbier trinken und etwas schwatzen.“ So begab sich Andreas F. in die „Forelle“, eine Bierstube in Nähe der Tangerhütter Grundschule.

Wenig später traf ein 60-jähriger Mann ein, er hatte zwei Hunde an der Leine. „Wir kennen uns seit 30 Jahren“, so F. Beide verbindet ein gemeinsames Hobby – die Hunde. F. selber wurde bereits als 14-Jähriger DDR-Vizemeister in der Schutzhundausbildung, der andere führe seine Vierbeiner jagdlich.

Dieser habe früher als F. die „Forelle“ verlassen. Kurz darauf hätte ein Radfahrer die zurückgebliebenen Gäste alarmiert, dass ein Mann auf der Straße liege, zwei Hunde neben sich. Zwei Männer seien sofort los, um zu helfen. F. bezahlte und machte sich auf den Heimweg.

In Höhe der Grundschule traf er auf den augenscheinlich Hilflosen und seine beiden Helfer. Einer von ihnen hätte bereits seine Frau gerufen, damit der spätere Täter per Auto in seine Wohnung gebracht werden kann. Was aber mit den Hunden? F. als Fachmann bot an, diese hinterher zu bringen, Der Dritte im Bunde schob die Fahrräder.

Per Pkw wurde der 60-Jährige in dessen Wohnung abgeliefert. F. musste indes mit den Hunden die gesamte Tangerhütter Innenstadt zu Fuß durchqueren.

In der Zwischenzeit schaffte es der stark alkoholisierte 60-Jährige, sich die etwa 100 Meter von seinem Haus bis zur Ecke Breite Straße/Bismarckstraße zurück zu schleppen. Dort kauerte er auf dem Gehweg vor einem Geschäftshaus gegenüber der Spielothek.

F. nahm ihn erst 10 bis 15 Meter entfernt war, als der stark Alkoholisierte rief: „Blödmann, gib meine Hunde her!“ Die Antwort: „Die will ich Dir ja gerade bringen.“ Dann sei alles ganz schnell gegangen. Der Täter griff zur Seite, nahm eine Kalaschnikow (AK 47) und feuerte auf den 49-Jährigen.

Dieser hatte von 1989 bis 1990 in der NVA gedient. Deshalb erkannte er die Waffe und die Gefahr, die von ihr ausging sofort, und auch das Geräusch der vier bis fünf Schüsse, die an diesem Abend kurz vor 22 Uhr die Stille in Tangerhütte zerrissen.

„Ich hatte eine riesige Angst, war um mein Leben gerannt und hatte nur noch ,Hilfe, Polizei‘ gerufen“, erinnert sich F. Der Mann, der wenige Meter mit den Fahrrädern hinter ihm folgte, müsse auch gleich zum Handy gegriffen haben.

Zwei Anwohner des Geschäftshauses waren in der Zwischenzeit auf die Vorfälle vor ihrer Haustür aufmerksam geworden. Ihnen gelang es, den Täter zu überwältigen und ihm die Waffe abzunehmen.

Instinktiv hielt F. bei seiner Flucht die Hunde fest. Diese hätten sonst womöglich versucht, ihr Herrchen gegenüber den beiden Männern zu verteidigen. „Vor deren Mut habe ich übrigens einen großen Respekt“, bedankt sich der 49-Jährige im Nachhinein.

Auch die Polizei ließ nicht lange auf sich warten. Noch bevor man allerdings Blaulicht und Sirenen der Einsatzfahrzeuge wahrnehmen konnte, sei der Täter bewusstlos geworden.

„Er lag da wie tot, den Puls konnte ich aber noch fühlen“, so F. Per Notarzt wurde der 60-Jährige in ein Krankenhaus nach Stendal gebracht.

Die Polizei stellte schnell fest, dass es sich bei der AK 47 Gott sei Dank nur um einen Schreckschusswaffe handelte. Die Beamten durchsuchten im Anschluss das Wohnhaus und stellte weitere diverse Schreck- und Luftdruckwaffen sicher.

 Ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet. Das angeforderte Spezialeinsatzkomando konnte den Einsatz noch auf der Anfahrt abbrechen.

Die Hunde übergab Andreas F. später an die Eltern des Täters, Herrschaften, über 90 Jahre alt. „Sie waren fassungslos, fix und fertig“, zeigt er Mitgefühl. Auch gegenüber dem Schützen hegt er keinen Hass, das Geschehen kann er aber noch immer nicht fassen: „Das war nicht der, den ich kenne. Sonst ist das ein netter Kerl.“

Der 49-Jährige weiß, dass der Täter schwer krank ist. Er vermutet, dass ein Cocktail aus Alkohol und starken Medikamenten die Ursache für diesen „Ausraster“ war. „Die Hunde sind sein Ein und Alles. Er muss geglaubt haben, dass man ihm diese stehlen wollte.“

Am Sonnabendnachmittag erhielt Andreas F. übrigens einen Anruf von dem Mann, der am Abend zuvor die Waffe auf ihn gerichtet hatte. „Er hat sich tausendmal entschuldigt. Den Waffenschein ist er aber los.“